In schwarzem Pulli und schwarzen Jeans erscheint Remo pünktlich zum vereinbarten Treffpunkt. Er ist schlank, wenn nicht gar mager, bleich, hat zittrige Hände. Seit 15 Jahren konsumiert Remo harte Drogen – vor allem Heroin, seltener Koks. Angefangen habe alles aus einer Dummheit heraus, erinnert sich der heute 38-Jährige Luzerner, der nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung genannt werden möchte. Mit seinem damals besten Kumpel habe er auf Partys gekifft, Pilze und LSD konsumiert. «Das ist mir total schräg eingefahren, hat mich ganz wirr gemacht», erinnert sich Remo.
Bald schon, mit 20 Jahren, probierte er Heroin aus. «Heroin ist anders, das kann einem nicht schräg einfahren, das gibt einfach ein gutes Gefühl», erinnert er sich an seine ersten Versuche. Doch schon bald, zu bald, rutschte er in die Sucht. Während sein Kumpel kein Heroin probierte, da sein Vater bereits heroinsüchtig war und er ein abschreckendes Beispiel in nächster Verwandtschaft hatte, gab Remo der Versuchung nach. Dass er süchtig war, realisierte der gelernte Detailhandelsverkäufer schnell. «Zuerst willst du konsumieren, doch sehr schnell musst du.» Es dauere nur wenige Tage, bis der Körper nach Heroin verlange, der Kopf machtlos werde.
«Bin permanent am Betteln«
Bereits zum vierten Mal nimmt Remo an einem Methadonprogramm teil. Normalerweise verschreibt ihm der Arzt täglich seine Dosis. In Coronazeiten ist das anders: Remo erhält Methadon jeweilsfür eine ganze Woche. Ob er das einteilen kann? «Ja, das ist kein Problem. Ich nehme täglich 90 Milligramm, dann bin ich ruhig, habe keinen Stress», erklärt er. Um die Menge einordnen zu können: Für eine nichtsüchtige Person ist die Einnahme von rund 35 Milligramm Methadon tödlich.
«Ich bin zurück ins Methadonprogramm, weil es momentan einfach nicht möglich ist, auf der Strasse anzuschaffen», gibt Remo zu. Normalerweise – das heisst, wenn nicht gerade Lockdown ist – verbringt er viele Stunden damit, Leuteauf der Strasse um Geld zu bitten. «Ich brauche täglich 100 bis 200 Franken für die Drogen.» Vom Geld, das er vom Sozialamt bekommt, bleibt für Drogen wenig übrig, will er immer etwas zu essen haben und sich auch mal in der Gassenküche verpflegen können. «Es ist ein wahnsinniger Stress, ich bin permanent am Betteln. Das ist mit dem Methadon schon einiges angenehmer, der ganze Beschaffungsstress entfällt.»
«Da kommst du auf den Affen»
Wenn das Leben mit Methadon so viel stressfreier und einfacher ist, wieso wird Remo immer wieder rückfällig? Das sei ein Teufelskreis, sagt er. Sobald die Dealer merkten, dass ein Drogensüchtiger sein Leben «im Griff» habe, werde er angefragt, ob er dealen möchte. Das Verlangen nach Geld –vom Sozialamt bekommt Remo alle zwei Wochen 500 Franken – ist gross, der Schritt zum Dealen klein. «Sobald ich Drogen in den Händen habe, werde ich rückfällig», sagt er.
Auch von Erfahrungen mit der Polizei weiss Remo zu erzählen. «Die machen nur ihren Job. Wenn man anständig ist und nichts zu verstecken versucht, sind sie nett.» Generell sei das Verhalten der Polizei freundlicher, verständnisvoller geworden. Noch vor einigen Jahren hätten sie den Drogensüchtigen beispielsweise am Abend die letzte Ration Heroin weggenommen – «dann kommst du total auf den Affen, das ist unvorstellbarer Stress, wenn man weiss, dass man am Morgen auf Entzug sein wird», erklärt Remo. Natürlich sei er auch schon mehrere Male verhaftet worden und habe Strafen abgesessen. «Unbegründet oder unfair war es nie», ist er sich bewusst.
Die Leere füllen
Das Wegkommen von den Drogen sei nicht das Hauptproblem, ist sich Remo sicher. Vielmehr sei es das soziale Umfeld. «Wenn ich einen Entzug mache und rauskomme, wo soll ich dann hin, was soll ich machen?», fragt er ins Leere. Seine Kollegen, wenn man sie so nennen kann, sind allesamt in der Drogenszene zu Hause. «Nach einem Entzug musst du diese Verbindungen kappen, sonst klappts nie», ist sich Remo bewusst.
Nur: Mit wem würde er dann verkehren? Kollegen von früher habe er nicht mehr, eigentlich nie gehabt. «Das ist das Problem: Die Drogen können das Loch, das man zu stopfen versucht, nie füllen. Im Gegenteil.» Zu oft habe er Leute gesehen, die einige Monate in St. Urban im Entzug waren, noch mit dem Koffer zurück in die Gassenküche kamen und sich einen «Schuss» setzten. «Es gibt viel mehr Leute, die rückfällig werden, als solche, die es schaffen», ist er sich bewusst.
Lieber «Abzocke» als Strasse
Bis vor drei Jahren hat Remo auf dem Bau gearbeitet. Das ging nur, weil er seinen Arbeitskollegen und den Chef gut kannte, sie seine Sucht tolerierten. Seit das Geschäft aufgelöst wurde, ist er arbeitslos und lebt von der Sozialhilfe. Damit bezahlt er sein Zimmer – ein paar wenige Quadratmeter für 850 Franken pro Monat. «Abzocke», nennt Remo dies. Mit acht Personen, die ebenfalls von der Sozialhilfe leben, teilt er ein Gemeinschaftsbad.
In seinem Zimmer hats eine Kochplatte, einen Kühlschrank sucht man vergebens. Vor einigen Tagen wurde ihm die Kochplatte geklaut, er wartet da-
rauf, dass die Läden öffnen, dass er sich eine neue besorgen kann. «Immerhin habe ich ein Zimmer. Etwas mehr als ein Jahr habe ich auf der Strasse gewohnt, das war nicht lustig.» In kalten Nächten hauste Remo auf öffentlichen Toiletten oder in Tiefgaragen.
Geld und Ideen fehlen
Wenn er über sein Leben nachdenkt, wirkt Remo bedrückt, resigniert. Auf die Frage, ob er unglücklich sei, weiss er keine Antwort. «Glücklich bin ich sicher nicht. Unglücklich aber auch nicht. Ich bin zufrieden, man muss dankbar sein für das, was man hat», sagt er.
Remo hat keine Perspektiven, er weiss auch nicht, was er machen wollen würde, wenn er denn könnte. Vielleicht ins Ausland gehen, komplett andere Leute und Kulturen kennenlernen. Dazu aber bräuchte er Geld und konkrete Ideen. Beides hat er nicht.
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