Auf sechs Verschubbahnen steht das Bauernhaus der Familie Bachmann in Eggerswil da. Es erinnert ein wenig an ein schmuckes KuchenstĂĽck. Gemäss kantonalem Denkmalverzeichnis ist es in seiner charakteristischen Formensprache des 18. Jahrhunderts ein wichtiger Bestandteil eines fĂĽr die Gemeinde Nottwil typischen Einzelhofs. «Erhebliche historische Bausubstanz» ist erhalten, weshalb das Bauernhaus als erhaltenswert eingestuft ist.Â
Diese Tatsache ist ein wesentlicher Grund dafĂĽr, dass das Gebäude am Morgen des Donnerstags, 4. Juli, von der Iten Spezialhochbau AG aus Oberägeri um gut 17 Meter leicht diagonal nach hinten verschoben wird, weg von der Kantonsstrasse. Nötig geworden ist die ZĂĽglete, weil einerseits die Kantonsstrasse voraussichtlich im nächsten Jahr saniert und verbreitert wird und einen neuen Rad- und Gehweg seeseitig zwischen Nottwil und Neuenkirch erhält. Und andererseits passt der Kanton auch die Einfahrten an, weil heute die Sichtverhältnisse mit dem Bauernhaus so nahe an der Strasse ungenĂĽgend sind.Â
Laut Peder Andri Rauch, Projektleiter bei der Abteilung Realisierung Strassen der Dienststelle Verkehr und Infrastruktur, sind vier Varianten geprüft worden. Die Hausverschiebung sei die beste, auch in Bezug auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Zu den Kosten macht er keine Angaben – diese sind Teil des gesamten Sonderkredits von 14,8 Millionen Franken –, hält aber fest, dass der Kanton den grössten Teil übernimmt. «Die Hausverschiebung ist ein Mehrwert für die Kantonsstrasse. Sie wird den Verkehrsteilnehmenden in Zukunft mehr Sicherheit bieten.»
Noch bevor die Spezialisten der Iten AG mit ihrer Arbeit beginnen, postieren sich nach und nach Schaulustige entlang der Absperrgitter. Vor Ort ist natürlich auch die Familie Bachmann, die morgens um halb 8 Uhr ihr Haus verlassen musste, aber bereits am Abend wieder zurückkehren kann. Mitte Januar hatten die Vorbereitungsarbeiten für die Verschiebung begonnen. «Ich bin schon froh, dass es nun losgeht», bekennt Landwirt Urs Bachmann, obwohl die Einschränkungen gering gewesen seien. «Wir haben praktisch nichts gemerkt im Haus. Doch das Ganze hatte länger gedauert als erwartet.» Bachmann erwähnt unter anderem Felsbrocken, die während des Aushubs im ansonsten sandigen Boden hervorgetreten seien.
Kurt Brülhart, Geschäftsführer der Iten AG, erläutert die aufwendigen Arbeiten, die hatten getätigt werden müssen, bis nun das «Kuchenstück» auf den Verschiebebahnen bereitsteht. Nach dem Freilegen des Fundaments sei es erst einmal darum gegangen, mit Betonfräseblättern mit einem Durchmesser von 1,6 Metern das Haus vom Fundament abzutrennen. «Dabei musste man fortlaufend kleine Stahlplatten in die Sägefugen einbringen, damit das Haus nicht absackt und das Blatt verklemmt.» War das Haus auf diese Weise erst mal abgekoppelt, begann erst der aufwendige Teil der Arbeiten. Die Spezialisten haben ein erstes Stück Mauer herausgebrochen und eine Stahlstütze angebracht. Schritt für Schritt sind sie weiter in dieser Art vorgegangen. «Etwa jeden Meter haben wir eine solche Stütze gestellt», erläutert Kurt Brülhart. Am Ende trugen die Stahlstützen das gesamte Bauernhaus.
«Das Spezielle hier war, dass die Kellerwände aus Natursteinen bestehen. Dieses Mauerwerk wurde im Kern nur mit Sand verfĂĽllt, sodass die Gefahr besteht, dass es sich in der Mitte entleert, was zu Stabilitätsproblemen fĂĽhren wĂĽrde», fĂĽhrt Kurt BrĂĽlhart weiter aus. Um dem vorzubeugen, sei das Mauerwerk zusätzlich mit einem Stahlkorsett verstärkt worden. «Danach haben wir das gesamte Gebäude mit einem 80 Zentimeter hohen und ebenso dicken Betonriegel stabilisiert.» Dieser Betonriegel bildet gewissermassen das neue Fundament, bis das Haus am neuen Platz steht und wieder unterkellert wird.Â
Die Verschiebung ist eine komplexe Angelegenheit. Hydraulische Pressen sorgen dafür, dass die Züglete auf Verschubbahnen mit Rollen mit einem Tempo von etwa sechs Metern in der Stunde gelingt. Einer der Spezialisten steht die ganze Zeit über an einem Hydraulikaggregat, das den Verschub steuert. Etliche weitere Arbeiter verschieben die Rollenträger vorwärts, rücken mit den Pressen nach, schrauben hier, fräsen da und kontrollieren dort Entfernungen. Es ist ein beeindruckendes Zusammenspiel mit modernster Technik und viel Handarbeit, alles mit Unaufgeregtheit und viel Routine ausgeführt.
Die Zahl an Schaulustigen, die dem Spektakel beiwohnt, bleibt ĂĽberschaubar. «Wir haben den Termin der Hausverschiebung Freunden und Bekannten mitgeteilt», erzählt Urs Bachmann. Das Interesse daran sei im Umfeld der Familie schon gross gewesen. Was um 9 Uhr mit dem VorrĂĽcken der ersten Zentimeter begonnen hatte, findet bereits um 11 Uhr seinen Abschluss. Danach kommt fast ein wenig Volksfeststimmung auf, hat doch die Bauernfamilie Festbankgarnituren aufgestellt und hält Getränke mit GrillbratwĂĽrsten parat.Â
«Es ist schön, dass nun alles so glatt abgelaufen ist», sagt ein entspannter Urs Bachmann. Auch seine Schwester Monika Binggeli ist gut gelaunt. «Es ist schon besonders, mitzuerleben, wie das Haus, in dem man aufgewachsen ist, diese kleine Reise macht», sagt die Neuenkircherin. Nun sei plötzlich die Strasse weiter weg – dort, wo sie als Kind nie habe spielen dürfen. «Der neue Standort des Hauses ist nun für die nachfolgende Generation sicher auch ein Vorteil.»
Für Kurt Brülhart sind nun die entscheidenden zwei Stunden, auf die man rund ein halbes Jahr lang hingearbeitet hat, ebenfalls vorbei. «Auch wenn das Vorgehen bei jeder Verschiebung ähnlich ist, gibt es doch jedes Mal gewisse Tücken und Herausforderungen», berichtet er. Brülhart nennt im Fall des etwa 500 Tonnen schweren Nottwiler Bauernhauses nebst dem brüchigen Untergrund als weiteres Beispiel die rund einprozentige Steigung, die hatte überwunden werden müssen. An Erfahrung fehlt es dem Fachmann beileibe nicht, hat doch die Iten AG in ihrem 70-jährigen Bestehen schon über 300 Gebäude aller Grössen und Bauarten verschoben. Dazu zählten 2020 die Weisse Villa im bündnerischen Mulegns, um mehr Abstand zur engen Haarnadelkurve der Julierpassstrasse zu gewinnen, oder ein Jahr später das Mauritiusheim in Schötz, das für eine Erweiterung des Alters- und Pflegeheims auf die Seite weichen musste.
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