Am Samstagmorgen erwache ich früher als sonst und ohne dass der Wecker läutet. Einmal mehr glaube ich, einem bösen Albtraum entflohen zu sein. Doch die Erinnerung an die vier Stunden Fernsehberichterstattung zur Coronakrise am Vorabend, die einem ruhigen Schlaf nicht gerade förderlich waren, und die geradezu gespenstische Ruhe auf Sursees Strassen lehren mich eines Besseren: Das ist brutale Realität.
Ich habe Wochenenddienst und bin deshalb auf dem Weg ins Büro – immer auf den Mindestabstand von zwei Metern zu allfälligen Passanten bedacht. Doch während der paar wenigen Minuten zu Fuss auf dem 500 Meter langen Arbeitsweg droht kaum Gefahr. Unter der Woche sind wir noch zu zweit auf der Redaktion, alle anderen arbeiten von zuhause aus – Homeoffice nennt man das neudeutsch.
Dank der digitalen Technik und weil wir noch rechtzeitig vor dem Ausbruch der Coronakrise auf ein modernes Redaktionssystem umstellten, erschienen unsere Zeitungstitel auch am vergangenen Donnerstag. Und so Gott und die Technik wollen, tun sie das auch in den kommenden Wochen. Wenn auch in deutlich reduziertem Umfang, denn das Inserateaufkommen brach massiv ein. Und über Veranstaltungen zu berichten, ist nicht mehr möglich – aus dem simplen Grund, dass praktisch keine mehr stattfinden.
Kreativität ist angesagt, um die Zeitungsseiten dennoch füllen zu können. Hintergründiges zur Coronakrise, auf die Region heruntergebrochen, oder Stoff wie diese Kolumne helfen aus der Bredouille. Bei meinem Ortstermin im Luzerner Kantonsspital Sursee am vergangenen Donnerstag rieten mir der Departementsleiter und die Infektiologin, ab sofort auf persönliche Interviews zu verzichten und diese nur noch per Telefon, E-Mail oder Skype zu führen.
Eine meiner Aufgaben unter der Woche und jetzt auch dieses Wochenende ist es, die eingehenden Mails zu sichten, Unnötiges zu löschen und Nötiges an die Ressortverantwortlichen weiterzuleiten. Seit das Coronavirus in Europa wütet, nahmen die Spam-Mails markant zu. Vor allem Kreditangebote gibt es en masse. Sie geben schon zu denken, diese Aasgeier, die aus der Not ihrer Mitmenschen Profit zu schlagen versuchen.
Regelmässig kommen aber auch relevante Nachrichten zur Coronakrise rein, mit denen umgehend der Newsticker auf der Website dieser Zeitung zu füttern ist. Einige sorgen für Lichtblicke – wie etwa der Trunverein Winikon, der den Betagten im Surseer Altersheim St. Martin mit einem Einkaufsdienst unter die Arme greift. Diese werden aber nur wenige Stunden später durch schockierende Meldungen wieder zunichte gemacht – wie zum Beispiel durch die Nachricht vom ersten Covid-19-Todesfall im Kanton Luzern am Samstagabend.
Es ist ein Wechselbad der Gefühle, dem man ausgesetzt ist. Irgendwann versucht man als Journalist, einfach zu funktionieren. Ein Versuch, der indessen immer wieder scheitert, denn auch als Journalist ist man ein Mensch mit Emotionen, an dem die Hiobsbotschaften zehren. Um etwas Ablenkung zu haben, lasse ich mich durch Mozarts Klavierkonzerte – Youtube sei Dank – berieseln. Das ist Balsam für die Seele.
Doch der Realität kann man auch dann nicht einfach entschweben. Die Meldungen, Analysen und Kommentare zur Coronakrise in den Medien überschlagen sich, und es ist gar nicht so einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen, zu erfassen, was als bare Münze oder blosse Effekthascherei einzustufen ist. Der eindringliche Appell einer Basler Ärztin ans uneinsichtige Partyvolk gehört – auch wenn er mit Kraftausdrücken garniert ist – zur ersten Kategorie, der Rundumschlag des Wutbürgers Stöhlker an die Adresse des Bundesrats zur zweiten Kategorie.
Es ist Sonntagnachmittag. Während ich diese Zeilen schreibe, ist die Ruhe in Sursee noch gespenstischer. Mails kommen kaum mehr rein. Das wird sich am Montag aber wieder rapide ändern. Welche Hiobsbotschaften werden mich dann erwarten? Eine Antwort auf diese Frage gibt es nicht – ebenso wenig wie auf jene Frage, die derzeit wohl die meisten Menschen umtreibt: Wann wird die Coronakrise überwunden sein – so sie sich denn überwinden lässt?
«Bleib gesund!» oder «Bleiben Sie gesund!» – diese Worte sind derzeit allenthalben zu hören und zu lesen. Ein Spruch, der es verdient hätte, zum Spruch des Jahres gekürt zu werden. Und wenn er die Zeit der Coronakrise überdauern und auch in Zukunft den achtsamen Umgang der Menschen untereinander begleiten sollte, dann hätte dieses Virus zumindest in dieser Hinsicht etwas Positives.
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