Eigentlich wäre ein Besuch beim Coiffeur fĂĽr mich bereits vor der Zeit des Lockdowns nötig gewesen, denn gefĂĽhlt wachsen meine Haare so schnell nach, wie sie abgeschnitten wurden. NatĂĽrlich hätte ich frĂĽher zur Haarschneidemaschine greifen und meinen Kopf auf eigene Faust befreien können, doch kamen mir die Lockerungsmassnahmen des Bundesrats im letzten Moment dazwischen. Mit ein paar wenigen Klicks zur rechten Zeit war der Termin besiegelt.Â
Vorerst ausgebucht
«Bei Symptomen von Covid-19 bitte telefonisch abmelden. Falls erwĂĽnscht, bringen Sie bitte Ihre eigene Zeitschrift, Mundschutzmaske und Trinkbehälter mit», erinnert mich ein SMS am Tag vor dem vereinbarten Datum – eine Vorschau auf die bevorstehenden Hygienemassnahmen. Der kurzfristig verbeinbarte Termin fĂĽhrt mich gleich am ersten Tag der Wiedereröffnung in den Hildisrieder Friseursalon «Barbara Hair & Make-up». Dass dies ein Montag, der «Sonntag der Friseure», ist, mag fĂĽr einige Kunden ungewohnt gewesen sein. Gleich zwei Termine fielen scheinbar an diesem Morgen aufgrund der momentan angepassten Ă–ffnungszeiten ins Wasser. Pech fĂĽr die beiden Kunden, denn freie Termine stehen trotz zusätzlicher Arbeitsstunden von Inhaberin Barbara Banz und ihrer Mitarbeiterin Stefanie HĂĽsler frĂĽhestens in anderthalb Wochen wieder in Aussicht.Â
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Schutz muss sein
Das Prozedere beginnt, kaum das Geschäft betreten, mit dem gründlichen Waschen und Desinfizieren meiner Hände. Hygiene muss sein. Zudem werde ich mit einer babyblauen Einweg-Schutzmaske versorgt. Auch Barbara Banz trägt einen Mundschutz der FFP3-Schutzklasse und schwarze Handschuhe. Beides muss sie den ganzen Tag tragen, die Handschuhe nach jedem Kunden desinfizieren. Für Arbeiten im Gesicht, zum Beispiel bei der Bartpflege, ist eine spezielle Schutzbrille vorgesehen. Der Mantel, den ich umgelegt bekomme, ist frisch gewaschen und wandert nach meinem Besuch gleich wieder in die Waschmaschine. Auch Einweg-Mäntel sind zur Sicherheit vorhanden.
Auf den Kaffee verzichte ich dieses Mal gezwungenermassen, denn ohne eigene Tasse gibts keinen. Einmal im bequemen Sessel gelandet, ergibt sich ein komischer Anblick im Spiegel: Zwei halbverdeckte Gesichter mit hervorstechenden Augen starren sich an. «Wenn man nur die Augen sieht, ist der Gesichtsausdruck der Kunden viel schwieriger einzuschätzen», lacht Banz gedämpft durch die Maske.
Während des Schneidens rĂĽcken die speziellen Umstände fĂĽr einen Moment in den Hintergrund: Gleichmässiges Schnappen der Scheren, Haare fallen, Gespräche ĂĽber Gott und die Welt – vor allem ĂĽber Homeoffice und geplatzte Reisen – erfĂĽllen den Raum. Nur beim Schneiden der Ohrenpartien wird es wegen der Gummischlaufen der Maske schwierig, und ich helfe, um der Coiffeuse die Arbeit zu erleichtern und mit zwei heilen Ohren davonzukommen. Ansonsten schwindet meine Haarpracht gemächlich, als wäre alles wie frĂĽher.Â
Desinfektion und Trennwand
Mir gegenüber, auf der anderen Seite des grossen Spiegels, sitzt ein weiterer Kunde. Die beiden zusätzlichen Plätze bleiben auf Anweisung des Verbands Schweizer Coiffure-Geschäfte, Coiffure Suisse, frei. Die zwei Waschstationen im hinteren Bereich des Salons wurden gar aufgemotzt: Ein altes Fenster trennt die beiden Plätze und sorgt für sicheren Abstand. So bleibt trotzdem das komplette Angebot weiter bestehen – inklusive begehrter Kopfmassage. Mit ähnlicher Kreativität ging beispielsweise auch der Coiffure Kurmann in Sempach vor. Da im eigentlichen Salon nur noch die Hälfte der Stationen besetzt werden dürfen, lagerte man kurzerhand ins nahe Sprötzehüsli aus.
Ein normales Leben
Die Desinfektionsmittelspender an jeder Station füllt Barbara Banz im Verlauf der Woche wohl noch einige Male auf. «Es ist eine spezielle Stimmung im Salon», erzählt Inhaberin Banz, «die Kundschaft geht ganz unterschiedlich mit der Situation um – die einen ganz locker, die anderen konsequent ernst.» Da gelte es, sich jedem einzelnen anzupassen und trotzdem die Vorschriften des Dachverbands einzuhalten. Weil diese jedoch erst relativ spät bekanntgegeben wurden, machte sich das Zwei-Frau-Unternehmen bereits im Voraus Gedanken: «Viele der beschlossenen Massnahmen waren absehbar.»
Ein letzter Schnitt, ausföhnen, Mantel weg. Der Spuk ist vorbei. Für mich zumindest, denn zu jedem Termin gehört für die beiden Coiffeusen das gründliche Desinfizieren ihrer Instrumente und des Arbeitsplatzes. Mühselig, aber unabdingbar. Mit einem gefühlt leichteren Kopf und guter Laune verlasse ich den Salon. Wie schön es ist, wieder ein Stück Normalität zurückzuhaben. Und fast gleich erfreut wie ich über meine kurzen Haare ist auch Barbara Banz über die Wiedereröffnung ihres Geschäfts: «Es ist schön, endlich wieder gebraucht zu werden.»
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