Jeden Abend zwischen 10 und 12 Uhr läuft Urs Jost den 800 Meter langen Zaun ab. Mit jeder Erdkröte, jedem Bergmolch, den er aufliest, wird der Kessel in seiner Hand schwerer. Anderthalb Stunden ist er täglich im Hagimoos unterwegs. Packt verirrte Amphibien, die den Weg in die unterirdischen Tunnel nicht gefunden haben, in einen Kessel und trägt sie auf die gegenüberliegende Strassenseite. Am Montagabend waren es 670. Grasfrösche, verschiedenartige Molche, aber vor allem Erdkröten. Seit die Amphibienwanderung Anfang Februar begonnen hat, rettete der Knutwiler mithilfe des Leitwerks rund 4994 Tiere. Bis Ende der Laichsaison Mitte April werden es womöglich weitere 3000.
Kröte ist Nachbar des Menschen
Steigen die Temperaturen nach dem Winter über null Grad – ideal sind Temperaturen zwischen fünf und zwölf Grad mit Nieselregen –, beginnt die Amphibienwanderung. Kröten, Molche und Frösche machen sich zu ihren Laichplätzen auf. «Die Erdkröte oder der Grasfrosch leben während des Jahres nicht am Gewässer, sondern bei uns in der Gegend, am Waldrand zum Beispiel», erklärt Urs Jost, Verantwortlicher der Zugstelle Hagimoos zwischen Kottwil und Mauensee. «Zur Fortpflanzung begeben sie sich ans Wasser. Und das meist alle auf einmal.» «Explosionslaichen» nenne man das.
Nur leider müssen viele Amphibien auf ihrem Weg zum nächsten Gewässer eine Strasse überqueren. LautKoordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz Schweiz bewegen sich speziell Erdkröten sehr langsam und nehmen bei Scheinwerferlicht oftmals eine Schreckstellung ein. Die Stellung, die ein Tier einnimmt, um den Feind zu erschrecken und abzuhalten. So kann das Überqueren einer sieben Meter breiten Strasse schon mal 20 Minuten dauern, wenn es die Kröten überhaupt lebend auf die andere Seite schaffen.
Durch unterirdische Tunnel
Die Zugstelle Hagimoos ist eine von 30 bekannten Zugstellen im Kanton Luzern. Weitere gibt es bei der Gallee in Sempach und beim Weierhüsliweiher in Neuenkirch. Dort werden die Amphibien von einem Zaun, der jeweils zu dieser Zeit temporär aufgebaut wird, gestoppt. Die Tiere wandern so dem Zaun entlang und fallen in im Boden eingegrabene Kessel. Diese werden daraufhin von freiwilligen Helfern auf die gegenüberliegenden Strassenseite getragen und geleert. Im Venedig in Sursee wird dagegen ohne Zaun patrouilliert. Die Tiere werden von Hand eingesammelt und zu den Gewässern getragen.
Etwas anders läuft es im Hagimoos. Nebst dem 800 Meter langen Zaun gibt es zehn Tunnel, die unter der Kantonsstrasse hindurchführen. «Wir haben keine eingegrabenen Kübel. Wir gehen davon aus, dass die Tiere durch die Tunnel finden», so Jost. Und grossmehrheitlich täten sie das auch. Dennoch läuft Urs Jost jeden Abend die Strecke ab und sammelt ein paar Tiere von Hand ein.
Keine grosse Lobby
Vor den Tieren ekeln tut sich Jost nicht. Seit der Primarschule beschäftigt er sich mit Amphibien und Reptilien. Auch heute hält er noch Schildkröten als Haustiere. Was die Faszination ausmache, könne er nicht genau in Worte fassen, doch setze er sich überzeugt für die kleinen Wirbeltiere ein, die sonst keine so grosse Lobby wie andere Tiere hätten. Seit mehr als 40 Jahren ist der Architekt freiwillig im Natur- und Artenschutz tätig, 16 Jahre alleine als Präsident der Schildkröteninteressengemeinschaft Schweiz. Seit 2011 betreut er die Zugstelle Hagimoos.
Seine Frau Heidi Jost hat er mit seiner Leidenschaft angesteckt. Nebst ihrer Tätigkeit als Handarbeitslehrerin hat sie eine Vorliebe für Naturfotografie entwickelt. Aus nächster Nähe fotografiert sie Insekten, Amphibien, Vögel und Reptilien. Eine aufwendige Arbeit, die viel Geduld braucht. «Man muss wissen, wann die Tiere wo sein werden und wie man sich anschleichen muss», so Jost. Auch er fotografiere ab und zu, doch seine Frau habe weit mehr Geduld als er. «Die Naturfotografie nennt man nicht ohne Grund die Kunst der verpassten Chance», sagt er.
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