Irene Landolt wohnt in Sempach Station und hat im März an der WBZ-Diplomfeier ihren Fachausweis Hauswartin entgegennehmen dürfen – und sie ist gehörlos. Die 51-Jährige ist seit ihrer Geburt hörbehindert. 2015 erlitt sie einen Hör-sturz. Seither ist sie komplett gehörlos und verfügt beidseits über Hörprothesen, sogenannte Cochlea-Implantate. Wie die ausgebildete Konditorin/Confiseurin ihre Weiterbildung trotz Gehörlosigkeit mit Bravour gemeistert hat und wo sie Verbesserungspotenzial seitens Gesellschaft und Behörden im Umgang mit hörbehinderten Menschen sieht, verrät sie im nachfolgenden Interview.
Irene Landolt, Sie haben den viersemestrigen, berufsbegleitenden Bildungsgang zur diplomierten Hauswartin erfolgreich abolviert. Herzlichen Glückwunsch! Wie haben Sie dies mit Ihrer Gehörlosigkeit vereinbart?
Vielen Dank! Ich erhielt Unterstützung eines Dolmetschers, der mir den Schulstoff fortlaufend in Gebärdensprache übersetzt hat.
Wie kann sich ein «normal» hörender Mensch die Gebärdensprache vorstellen?
Die Gebärdensprache ist die natürliche Sprache für Hörbehinderte. Den ersten Kontakt mit ihr hatte ich im Kindergarten mit meinen Mitschülerinnen und Mitschülern. Sie ist linguistisch betrachtet eine vollständige Sprache mit eigener Grammatik und fast jedes Land hat eine eigene. Weltweit wurden bisher 187 verschiedene Gebärdensprachen erforscht.
Wie haben Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler auf Sie und die Gehörlosigkeit reagiert?
Zuerst überrascht, dann unsicher und einige waren fasziniert von der Gebärdensprache und haben den Dolmetschern jeweils zugeschaut. Mit der Zeit wurde es aber für alle zur Normalität.
Haben Sie die gleiche Prüfung absolviert wie der Rest der Klasse?
Ja, ich habe genau die gleichen Fragen beantworten müssen wie alle anderen. Ich hatte aber aufgrund der Hörbehinderung Anrecht auf einen Nachteilsausgleich. Dieser bedeutete eine Zeitverlängerung um 10 Prozent für mündliche und praktische Prüfungen – wegen des Dolmetschprozesses – sowie 25 Prozent bei den schriftlichen Prüfungen.
Ist Ihr Sprachzentrum ebenfalls durch die Gehörlosigkeit beeinträchtigt?
Meine Hörbehinderung ist «nur» ein Defekt des Ohrs, nicht eine Nervenleitungsstörung oder einer Hirnproblematik geschuldet. Mein Deutschwortschatz ist aber eingeschränkt, weil ich diese Sprache nie wirklich gehört habe und sie so wie eine Fremdsprache erst erlernen musste.
Denken Sie, dass die anderen menschlichen Sinnesorgane bei Ihnen als eine Art Kompensation stärker ausgeprägt sind als bei anderen Menschen?
Ja, definitiv. Meine Augen kompensieren das fehlende Gehör, auch nehme ich Vibrationen bewusster wahr.
Wie bewältigen Sie Ihren Alltag? Wie einschneidend ist Ihre Hörbehinderung für Sie?
Ich lebe wie jeder andere Mensch. Ich bin völlig selbstständig. Die einzige Schwierigkeit liegt in der Kommunikation mit fremden Menschen. Auch die Lautsprecherdurchsagen kann ich nicht verstehen.
Fühlen Sie sich seitens Gesellschaft und Behörden genügend unterstützt?
Für Sitzungen, Vorträge oder eben Ausbildungen bin ich jeweils auf Dolmetscher angewiesen, damit ich ungehinderten Zugang bekomme. Leider sind aber die finanziellen Mittel des Bundes sehr beschränkt, wodurch ich nicht unbeschränkt auf Dolmetscher zurückgreifen kann. Zudem wäre es natürlich wunderschön, wenn alle öffentlichen Anlässe, alle Fernsehsendungen auf Gebärdensprache übersetzt würden oder wenn Durchsagen an Bahnhöfen und anderen öffentlichen Plätzen auch an Bildschirmen verschriftlicht würden. Trotzdem muss ich aber sagen, dass ich meinen Alltag meist problemlos meistern kann.
Was verlangt Ihre Gehörlosigkeit Ihrem direkten Umfeld ab?
Ich bin, wie ich bin. Jeder Mensch ist individuell, hat eigene Schwächen und Stärken. Zu mir gehört nun mal die Hörbehinderung, also werde ich so von Familie und Freunden akzeptiert und respektiert.
Wie geht es für Sie nach Ihrem erfolgreichen Abschluss jetzt beruflich weiter?
Ich werde bei meiner bisherigen Arbeitsstelle weiterarbeiten, kann aber durch mein zusätzliches Wissen weitere Aufgabenbereiche abdecken. Mein Arbeitgeber hat bisher zwei Personen angestellt, die hörbehindert sind, und ist sehr zufrieden mit unserer Arbeit. Ich hoffe, dass dies auch anderen Arbeitgebern den Mut gibt, hörbehinderten Fachkräften eine Chance zu geben.
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