Vor gut 19‘000 Jahren verschwanden die Gletscher der letzten Eiszeit aus der Zentralschweiz. Die Wiederbesiedelung setzte ein. Dann wurden die Jäger und Sammler zu sesshaften Bauern, die Ackerbau und Viehzucht betrieben, wie Getreidepollen in Bohrungen, datiert um 6500 v. Chr., beweisen. Mit der Egolzwiler Kultur (ca. 4400 bis 4200 v. Chr.) setzte die Siedlung im Verlandungsbereich der Seen, beispielsweise am Sempachersee, ein. Um 800 v. Chr. begann die Eisenzeit. Sie dauert von 800 bis zum Ende des ersten Jahrhunderts v. Chr. und wird heute auch als die Zeit betrachtet, in der das keltische Volk in der Schweiz aufblühte, bevor das Siedlungsgebiet von den Römern und Alemannen übernommen wurde.
Vom Stamm zur Confoederatio
Die Volksbezeichnung «Keltoì» taucht im fünften Jahrhundert v. Chr. zum ersten Mal in den Schriften von griechischen Gelehrten auf. Als gross, hellhäutig und streitsüchtig werden die Barbaren aus dem Norden jenseits der Alpen beschrieben. Einer dieser keltischen Stämme waren die im Mittelland ansässigen Helvetier. Die lateinische Stammesbezeichnung hat sich denn auch bis heute gehalten: Das Landeskennzeichen «Confoederatio Helvetica» bezieht sich auf die keltische Urbevölkerung der Schweiz. Nebst den Helvetiern gehörten auch die Allobroger, Rauriker und Lepontier zu der keltischen Bevölkerung der Schweiz.
Ob sich die Völkerstämme des Nordens tatsächlich als ein Volk identifiziert haben, lasse sich nicht sagen, meint der stellvertretende Kantonsarchäologe Ebbe Nielsen. «Es handelt sich bei den Kelten um einzelne Stämme, die auch gegeneinander gekämpft haben. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl entsteht oft erst durch einen gemeinsamen Feind», erklärt Nielsen.
Zurück nach Hause geschickt
Und den gemeinsamen Feind fanden diese Stämme vor allem in den Römern. Trotz aller Stammesrivalitäten liessen mehr als 300‘000 Kelten 61 v. Chr. ihre Heimat zurück und zogen unter der Führung von Orgetorix und später Divico nach Westen, um sich im heutigen Frankreich niederzulassen. In der Schlacht von Bibracte wurden sie schliesslich von Caesars Truppen vernichtend geschlagen und zur Rückkehr gezwungen. Dort dienten sie dem römischen Reich quasi als Stossdämpfer gegen die von Norden anrückenden Germanen. So kehrten die Helvetier zurück ins Gebiet der heutigen Schweiz und siedelten sich erneut in ihrer alten Heimat an. Zu ihrer alten Stärke zurück schienen sie jedoch nicht mehr zu finden. In den ersten Jahrhunderten nach Christus setzten sich die Einflüsse der römischen Kultur durch und die keltischen Eigenheiten in Handwerk, Kunst, Religion und Sprache wurden nach und nach assimiliert.
Eine Sprache ohne Schrift
Es stellt sich die Frage, wo denn noch heute das keltische Erbe der Schweiz sichtbar ist. Zum einen seien dies Orts- und Flurnamen, sagt Ebbe Nielsen. «Der Name Bern stammt vom keltischen Siedlungsnamen ‘brenodor‘. Es ist anzunehmen, dass auch einige Luzerner Orts- und Flurnamen einen keltischen Ursprung haben», meint der Spezialist für Ur- und Frühgeschichte weiter. Das lässt die Frage aufkommen, ob beispielsweise der Name von Sempach noch viel weiter zurückreichen könnte als zum bisher vermuteten althochdeutschen Ursprung. Zumal die Endung -aa/-ab, die später zu -ach wurde, in der keltischen Sprache ebenfalls Fluss oder Bach bedeutet. Erschwert werden eindeutige Befunde vor allem durch den Umstand, dass die Kelten kein eigenes Schriftsystem besassen. Die wenigen gefundenen Inschriften in keltischer Sprache sind entweder in lateinischen, griechischen oder etruskischen Buchstaben verfasst.
Keltische Spuren in Sursee
Ohne schriftliche Zeugnisse ist es auch schwer zu beantworten, wie die Helvetier gelebt haben. «Tatsächlich wissen wir mehr darüber, wie die Leute gestorben sind, als wie sie gelebt haben», erklärt Ebbe Nielsen lachend. Denn es sind vor allem Grabfunde, die über die Kelten im Kanton Luzern Aufschluss geben. Erst 2011 wurde im Hofstetterfeld bei Sursee das Grab einer noblen Keltin, die zirka 300 v. Chr. gelebt hat, gefunden. Und wo ein Grab ist, haben vermutlich auch Menschen gelebt. Dies belegen auch die Münzen und Überreste von keltischen Schmiedeöfen, die danach ebenfalls im Hofstetterfeld entdeckt wurden. Aber das sind nicht die einzigen keltischen Funde aus Sursee. Auch bei der Halbinsel Zellmoos und im Käppeliacher wurden Münzen gefunden, im nördlichen Stadtgraben und im Zellhof tauchten Fragmente von Glasarmringen auf und in der Moosgasse wurden vier Gräber gefunden, in welchen unter anderem ein keltisches Schwert als Grabbeigaben lag. All dies deutet darauf hin, dass sich zu dieser Zeit eine grosse Siedlung bei Sursee befand.
Nicht nur Sursee, sondern in der gesamten Region um den Sempachersee gibt es Hinweise auf die Besiedelung der Helvetier. In Oberkirch fand man drei keltische Gräber, beim Weiherholz zwischen Eich und Schenkon keltische Grabhügel und bei Gigen unterhalb von Hildisrieden wurden ebenfalls Schmuckstücke aus einem Grab geborgen. Ein seltener Fund wurde 2018 in Egolzwil untersucht: Dort fand man die Überreste einer keltischen Siedlung.
Das Leid der Archäologie
Anhand dieser zahlreichen Grabfunde kann man einige wenige Aussagen über die Lebensumstände unserer helvetischen Vorfahren machen. Sehr vieles wird jedoch im Dunklen bleiben. «Anhand der Frequenz der Fundstücke ist davon auszugehen, dass das Gebiet um den Sempachersee für diese Zeit dicht besiedelt war», erklärt Ebbe Nielsen. Das bedeutet, dass vermutlich noch sehr viele weitere Siedlungsreste und Gräber in unserer Erde schlummern. «Wir untersuchen nur Fundstellen, wenn sie bedroht sind. Unter Archäologen sagt man, der Boden sei das beste Museum», erörtert Nielsen weiter. In der Vergangenheit wurden bei Bauvorhaben vermutlich unzählige keltische Funde zerstört. Diejenigen Funde, die vor langer Zeit gemacht wurden, wurden meist Opfer von Zerstörung durch unsachgemässe Behandlung und Konservierung oder kamen im Lauf der Jahrzehnte abhanden. Da ist es vielleicht besser, wenn wir das helvetische Erbe sicher in der Erde ruhen lassen.
Ebbe Nielsen
Prof. Dr. Ebbe H. Nielsen ist stellvertretender Kantonsarchäologe in Luzern sowie im Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern in der Lehre und Forschung tätig. Ebbe Nielsen, geboren 1956 in Tamdrup (Dänemark), Bürger von Worb (BE), ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Er wohnt in Schwarzenberg (LU). Nach dem Studium in Dänemark und der Schweiz (1978 bis 1984) dissertierte Ebbe Nielsen 1990 über die mesolithische Siedlung Gampelen-Jänet 3 im westlichen Seeland (Kanton Bern). Von 1984 bis 1994 war Ebbe Nielsen als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Archäologischen Dienst Bern, von 1995 bis 2001 als Assistent und Projektleiter am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Bern angestellt. 2008 hat Ebbe Nielsen an der Universität Bern mit einer grundlegenden Forschungsarbeit zur Alt- und Mittelsteinzeit in der Zentralschweiz habilitiert. Der Kanton Luzern hat das Habilitationsprojekt massgeblich unterstützt, bis hin zur 2009 erfolgten Publikation als Band 13 der Archäologischen Schriften Luzern.
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