Für «Gleichgeschlechtliche Liebe leben» stehen die Buchstaben GLL. Die Non-Profit-Organisation, die vor allem in der Zentralschweiz tätig ist, vermittelt Personen, die an Schulen über das Thema Sexuelle Orientierung sprechen. Ziel ist es, in vertrauter Atmosphäre in den Dialog mit den Schülern zu treten, Meinungen abzuholen und offene Fragen zu beantworten. Stefano Carlucci (32) ist einer der Schulbesucher. Im Interview erzählt er von seiner Arbeit.
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Wir arbeiten in einem Team von drei Leuten. Es ist immer ein queerer Mann, eine queere Frau und ein Elternteil eines gleichgeschlechtlich liebenden Kinds dabei. Beim Schulbesuch haben wir drei Lektionen Zeit. Es gibt einen Theorieteil, indem wir die rechtliche Situation gleichgeschlechtlicher Paare in der Schweiz und weltweit diskutieren, und einen interaktiven Teil mit Rollenspiel. Am interessantesten finden die meisten aber den Hauptteil, wo wir unsere eigenen Coming-out-Geschichten erzählen.
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Es gibt manchmal Lehrpersonen, die uns im Voraus warnen, dass das Thema aufgrund der kulturellen Hintergründe der Klasse etwas kontrovers aufgenommen werden könnte. Aber meine Erfahrung hat gezeigt, dass sich genau dann die besten Gespräche entwickeln. Und dass sich diese Menschen am Ende relativ offen zeigen.
Speziell geblieben ist mir der Moment, als ein Bub nach dem Unterricht auf mich zukam und sich bedankte. Nachdem er gesehen hatte, wie positiv seine MitschĂĽler auf das Thema reagierten, hat er sich im Anschluss als bisexuell geoutet.
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Genau. Unser Ziel ist nicht, dass wir Schulklassen besuchen und danach alle Fans von homo- und bisexuellen Menschen sind. Uns geht es darum, den Jugendlichen, die sich im Coming-out-Prozess befinden, zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Und wir wollen die Schüler, die das Ganze eben nicht so toll finden, trotzdem zum respektvollen Umgang motivieren. Sie sollen wissen, dass Homosexualität keine Wahl ist, dass es keine Krankheit ist. Und dass homosexuelle Menschen immer noch regelmässig Opfer von Gewalt sind, und das auch in der Schweiz. Bei queeren Jugendlichen besteht auch ein höheres Suizidrisiko. Darüber wollen wir aufklären.
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Meine Schulzeit war schwierig. Man hat gemerkt, ich bin nicht so wie die anderen Jungs. Ich war anders. Nicht so «männlich» wie die anderen. Deswegen wurde ich früh mit dem Wort «schwul» konfrontiert. Aber ich wollte das nicht akzeptieren. Ich hätte damals alles gemacht, um nicht schwul sein zu müssen. Ich war beim Schulsozialarbeiter und hatte die Hoffnung, dass sich das ändern lässt. Für mich hatte es damals keinen schlimmeren Schicksalsschlag im Leben gegeben, als homosexuell zu sein. Das hat sich später komplett verändert. Ich würde diesen Teil von mir heute nicht mehr zurückgeben wollen.
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Die Message, die ich heute den Jugendlichen mitgebe, ist: Je mehr du dich versteckst, nicht auf Kommentare eingehst, desto mehr freuen sich die anderen, dich weiter zu quälen. Mein persönliches Wow-Erlebnis war, als ich nach der Schulzeit zum ersten Mal für mich einstand und das ganze Spiel umkehrte. Ich wünschte mir, dass ich den Mut, mich zu akzeptieren, schon zu meiner Schulzeit gehabt hätte. Es hätte mir viel Leid erspart.
Auch hätte ich mir den Besuch eines Schulprojekts wie des GLL gewünscht. Ich hätte gewusst, dass es okay ist, wie ich bin. Dass ich nicht alleine bin. Aber vor allem hätte es mir geholfen, wenn meine Mitschüler aufgeklärt worden wären. Vielleicht hätte so das Mobbing aufgehört. Ich kann mir vorstellen, dass gewisse Lehrpersonen mit dem Thema überfordert waren und deshalb nicht eingriffen. Ich habe mich im Stich gelassen gefühlt.
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Sexuelle Aufklärung hat es zu meiner Zeit fast gar nicht gegeben. Es wurde einmal kurz angesprochen, aber wirklich darüber geredet wurde nicht. Deshalb ist unser Projekt so wichtig. Wir wollen Präsenz zeigen.
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Heute steht die sexuelle Orientierung im Lehrplan 21. Konkret heisst es: Die Schüler verbinden Sexualität mit Partnerschaft, Liebe, Respekt, Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung und können sexuelle Orientierungen nicht diskriminierend benennen.
Das ist meines Erachtens ein Schritt vorwärts. Es ist auch ein Grund, wa-rum wir immer mehr Besuchsanfragen bekommen. Die Lehrpersonen kommen auf uns zu, weil wir über die sexuelle Vielfalt besser berichten können als sie selber.
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Auf jeden Fall. Es ist schon mal ein Fortschritt, dass sexuelle Orientierung Teil des Lehrplans ist. Das ist aber nur ein Stück vom Kuchen. Vor allem das Thema Geschlechtsidentität ist heute sehr präsent. Bei den Schulbesuchen zeigen wir den Unterschied auf zwischen sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität. Weil es immer noch Leute gibt, die denken, dass eine Person, die schwul ist, gerne eine Frau wäre. Sie vermischen das einfach.
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Ein Coming-out ist etwas sehr Individuelles. Meine Eltern waren fast die letzten Personen, die es erfahren haben. Es kommt ganz drauf an, mit wem du das beste Verhältnis hast. Im Normalfall stellen die Eltern eher eine grössere Hürde dar, da man Angst vor ihrer Reaktion hat. Das ist natürlich davon abhängig, wie offen die Gesprächskultur in der Familie ist. Eines kann ich jedoch sagen: Mit einem Geheimnis leben zu müssen, macht einen nicht nur traurig, sondern auch krank. Deshalb sollte man sich die richtige Person aussuchen und darüber reden.
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Ich selber bin betroffen, und auch für mich ist es eine Veränderung. Ich bin nicht mit der genderneutralen Sprache aufgewachsen. Die Sprache verändert sich und wird sich weiter-verändern. Das ist eine Gewohnheitssache. Ich bin auch kein Fan von Labels. Aber Labels beziehungsweise Bezeichnungen sind sehr wichtig. Für alles auf der Welt hat man eine Bezeichnung. Und es gibt Menschen, die sich nie irgendwo einordnen konnten. Und folglich das Gefühl bekamen, nicht normal zu sein. Es braucht Bezeichnungen, damit man sich mit etwas identifizieren kann.
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Ich persönlich feiere nicht. Ich bin nicht so der Party-Typ oder der Szenengänger. Aber ich finde es wichtig, sich zu zeigen, und es ist schön, überall Regenbogensymbole zu sehen.
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Die 3. Sekundarstufe von Sempach hat bereits einen Schulbesuch des GLL miterlebt. Dabei habe sich herauskristallisiert, dass die Schüler bereits sehr viel über das Thema wussten, wie die Klassenlehrpersonen mitteilen. Wie die Themen «Geschlechter und Rollen» sowie «Sexuelle Orientierung» in der 1. bis 3. Sek konkret thematisiert würden, sei von Lehrperson zu Lehrperson unterschiedlich. Die Schwerpunkte könnten je nach Bedürfnis der Klasse individuell gesetzt werden. In den verschiedenen Themeneinheiten setzten sich die Schüler unter anderem mit den eigenen Rollenbildern und den gesellschaftlichen Erwartungen auseinander. Die Schüler würden dabei ermutigt, die Vielfalt zu respektieren und verantwortungsvoll ihren eigenen Weg zu gehen.
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Nebst der Lebenskunde und dem Naturlehrunterricht fänden Themen rund um die sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität auch an interdisziplinären Tagen Einzug, teilt Philipp Zihler, Schulleiter der Sek Triengen, mit. Diese fanden erst kürzlich statt. Zu Gast per Live-stream war die Fussballerin Lara Dickenmann, welche die Fragen der Schüler beantwortete, die sich unter anderem auch um deren Homosexualität drehten. Im Anschluss gab es einen Vortrag zum Thema «Homosexualität und Spitzensport».
Auch an der Kantonsschule Sursee, die nicht direkt dem Lehrplan 21 unterstellt ist, setzt man sich mit diesen Themen auseinander. Wie das im Detail geschehen muss, sei nicht genau definiert, so Rektor Ulrich Salm. «Wir ermuntern aber die Lehrpersonen, diese Themen offensiv anzugehen.» Um die Offenheit der Schule noch zu unterstreichen, habe man gerade kürzlich auf eine Anfrage seitens der Schülerschaft reagiert und eine Toilette genderneutral bezeichnet.
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