Der Historiker Kurt Messmer will seit jeher Geschichte im öffentlichen Raum auf anschauliche Weise vermitteln. Dies hat er auch am letzten Donnerstagabend, 21. November, getan mit seinem Vortrag «Ehre, wem Ehre gebührt» zur 550-jährigen Geschichte des Rathauses Sempach. Dass das Rathaus Sempach ein Gebäude ist, das besonders gewürdigt werden muss, steht für Messmer, der in Emmen wohnt, ausser Frage. Denn das Gebäude war sowohl punkto Funktion als auch von der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung her für Sempach immer zentral und wichtig.
Doch wann genau entstand dieses Gebäude, das ziemlich genau in der Mitte der unteren Häuserzeile des Städtlis steht und dessen Südwestfassade dem See zugeneigt ist? Bezüglich der Baujahre besteht mit 1474/75 Gewissheit, wie die Dendrochronologie ergeben hat. Mit dieser Methode kann man aufgrund der Jahrringe des verbauten Holzes Rückschlüsse auf das Baujahr ziehen, in dem man das Erscheinungsbild der Ringe mit geschlagenem Holz identischer Zeiträume vergleicht. Doch wie das ursprüngliche Haus genau konstruiert war und ausgesehen hat, darüber kann auch Kurt Messmer nur mutmassen. «Am ehesten hatte es einen riegelbauartigen Charakter, allerdings viel einfacher als heute. Doch eine andere Version ist, dass es sich um einen schlichten Holzbau handelte.» Besonders ist auch, dass es im Fundament – dem Steinmauerwerk, das noch heute neben dem Rathauseingang sichtbar ist – Bereiche gibt, die älteren Datums als 1474/75 sind. Es dürfte somit schon einen Vorgängerbau gegeben haben.
Zweifellos darf man das Rathaus als wichtigstes Gebäude von Sempach bezeichnen. Präziser müsste man eigentlich von einem Rat- und Kaufhaus sprechen, denn das Gebäude beherbergte im zweiten Stock nicht nur Räume für Räte, Schultheiss, den Bürgersaal und die Gerichtsbarkeit und im ersten Stock die Tuchlaube, in der mit Tuchen gehandelt wurde. Das Erdgeschoss diente bis 1834 als Schlachthaus. «Das Gebäude erfüllte somit politische und gesellschaftliche Funktionen, war Ort des Warenhandels, diente dem Gewerbe», sagt Kurt Messmer. «Seit jeher ist das Rathaus somit ein Mehrzweckgebäude, wie wir es auch heute noch kennen.» Zu erwähnen ist noch die Sust, in der ganz in der Nähe die Waren umgeschlagen wurden, die man entweder auf der Nord-Süd-Achse auf dem Landweg oder übers Wasser transportiert hatte.
In der Umgebung gibt es weitere Rathäuser, die räumlich oftmals ähnlich aufgebaut sind, wie beispielsweise das Surseer Rathaus, das im ersten Stock ebenfalls eine Tuchlaube kennt und im zweiten Stock einen Bürgersaal. Im Unterschied zu Sempach befindet sich dort die Sust aber gleich vor Ort, im Erdgeschoss. Und es gibt weitere interessante Differenzen. So steht das Rathaus Sursee frei, während das Sempacher Rathaus in die eingangs erwähnte Häuserzeile des Städtlis eingebunden ist. Wie Sursee besass Sempach die Blutsgerichtbarkeit, aber vollstreckt wurden die Todesurteile wohl auf der Richtstätte beim Galgenwäldli in Emmen. In Sempach kannte man keine Gewaltenteilung wie andernorts. Hier verurteilten also Schultheiss und Rat etwa Diebe zu Strafen. «Es gab wie in Sursee einen Pranger», erläutert Kurt Messmer, «aber nicht wie dort an einem festen Standort in einer Einbuchtung am Rathaus. In Sempach wurden Verurteilte mit einem Eisen um den Hals vermutlich vor dem Rathaus zur Schau gestellt.»
In seinem Vortrag geht Kurt Messmer auch vertieft auf die Jahre um 1474/75 ein, denn «es war für die Schweizer Eidgenossenschaft eine turbulente Zeit mit den Burgunderkriegen, den Reibereien zwischen den Stadt- und Landorten und den Mythenbildungen.» So erwähnt das Weisse Buch von Sarnen 1470 erstmals Wilhelm Tell, und in der Stadtchronik von Zürich ist 1476 von einem «getrüwen Man» die Rede – Arnold von Winkelried. 1479 verstanden sich die Eidgenossen als das auserwählte («usserwelte») Volk Gottes im Zentrum der Welt.
Das Rathaus Sempach erlebte in seiner 550-jährigen Geschichte zwei «Jahrhundert-Restaurationen», wie Kurt Messmer festhält: eine schonende Restauration 1891 und den grossen Umbau vor zehn Jahren von 2014. Bei Ersterer nahm das Museum seine Anfänge im BĂĽrgersaal, wo beispielsweise historische Kriegswaffen ausgestellt wurden. Interessant sei auch, dass diese Restauration erst rund fĂĽnf Jahre nach der 500-Jahr-Gedenkfeier zur Schlacht bei Sempach erfolgt sei, meint Kurt Messmer. «Eigentlich mĂĽsste man doch annehmen, dass ein solch massgebender Eingriff im Vorfeld eines so grossen Festes vollzogen wird.» Doch, so vermutet der Historiker, war man von den grandiosen Festivitäten in Sempach 1886 selber so beeindruckt, dass man nun beschloss, dem Rathaus fortan einen wĂĽrdigeren Auftritt zu verschaffen. Damals hatte das Gebäude nämlich noch eine einfache Holzverschalung. Die darunter liegende historische Bausubstanz war nicht zu sehen. 1891 bekam das Rathaus nicht nur seine Riegelfassade zurĂĽck, wie sie noch immer besteht, sondern auch die wirkungsvolle prächtige Dachlukarne. Bereits vor 1834 datiert das Rathausbögli, der direkte Durchgang vom Städtli zum See.Â
Umbau 2014 Kurt Messmer war zusammen mit dem ehemaligen Sempacher Stadtarchivar Martin Steger vor zehn Jahren massgeblich beteiligt, als es um das künftige Konzept des Rathauses Sempach ging. Man entschied sich für ein modernes Museum und einen Treffpunkt für gesellschaftliche und kulturelle Anlässe. Noch heute erfüllt es Kurt Messmer mit Stolz, wenn er auf das Gemeinschaftswerk blickt. Besonders hervorheben mag er die Tatsache, dass nun die alte Bausubstanz in einer wohltuenden Selbstverständlichkeit zusammen mit den neuen Elementen des Umbaus zu erleben ist. Gut zu sehen ist dies etwa in der Tuchlaube mit den alten, dunklen, tragenden Balken und dem neuen, hellen Holz. Generell resümiert er: «Das Rathaus Sempach ist ein Generationenwerk: Zwei Dutzend Generationen haben das Rathaus Sempach erbaut, genutzt, erhalten, weitergegeben. Es mögen unzählige weitere sein.» WY
Sie können Ihre Traueranzeige in Ruhe von zu Hause aus gestalten und aufgegeben. Es stehen Ihnen Muster, Hintergründe und Bilder zur Verfügung.
Anzeige online aufgeben