Mitte April veröffentlichte diese Zeitung Resultate einer grossangelegten Umfrage des Baumeisterverbands. Die Teilnehmenden äusserten sich zur Schweiz in 20 Jahren. Dabei wurde unter anderem deutlich, dass man nach wie vor das eigene Motorfahrzeug dem öV vorzieht und am liebsten immer noch ein Einfamilienhaus hätte, oder zumindest in 3- bis 4 1/2-Zimmer-Wohnungen in Mehrfamilienhäusern mit einer Wohnfläche zwischen 80 und 120 Quadratmetern leben möchte.
Natürlich wollen die meisten weniger Kohlendioxid in der Luft, es soll verdichtet gebaut werden und sowieso ist es doch einfach verrückt mit diesem vielen Verkehr. Es hapert aber, sich selber einzuschränken. Ich persönlich sehe den Grund nicht ein, warum ich eine Wohnfläche von 120 Quadratmetern bräuchte. Meine recht kleine 2-Zimmer-Wohnung reicht vollkommen. Angesichts von etlichem Material, dass sich im Reduit unter dem Dach angesammelt hat, liegt der Verdacht nahe, dass ich noch immer zu viel Platz habe.
Schon länger schwebt ein Mini-Haus als Option in meinem Kopf herum. Ich denke, ich käme mit 30 Quadratmetern zurecht. Nebst dem Vorteil, dass ich mal richtig entrümpeln müsste, würde sich auch mein ökologischer Fussabdruck deutlich verkleinern. Verbaut werden müsste Mondholz aus der Region, auch sonstige Baustoffe wie beispielsweise die Isolation sollten gesund und nachhaltig sein. Das schmucke Häuschen im nordischen Stil stünde am besten es an einem Waldrand mit Blick auf die Berge. Und wenn ich mal weiterziehen möchte, müsste ich mir nicht mühsam eine neue Mietwohnung suchen, weil es so konzipiert sein sollte, dass es transportiert werden könnte.
Der Verein Kleinwohnformen Schweiz hat zum Ziel, Mini-Häuser (auch unter dem Begriff «Tiny Houses» bekannt), Zirkuswagen, Jurten und. Co in der Schweiz bekannt zu machen. Er zählt aktuell rund 1500 Mitglieder. Auf der Webseite www.kleinwohnformen.ch gibt es umfangreiche Informationen zum Leben auf kleinem Raum. In einem aufgeschalteten Artikel der BZ heisst es, dass sich die Investitionskosten für eine Kleinwohnform auf 150’000 bis 250’000 Franken belaufen dürften.
Aus heutiger Sicht eigneten sich Kleinwohnformen am ehesten als Zwischennutzungen von Grundstücken. Sie könnten ergänzend zur Verdichtung nach innen betrachtet werten, heisst es weiter. So könnten solche Wohnformen Baulücken füllen oder auch das Generationenwohnen befördern, wenn die agile Jugend auf dem elterlichen Grundstück ein «Stöckli» neu interpretiere.
Bezüglich Dämmwirkung vermögen Kleinwohnformen den heutigen Anforderungen an Neubauten freilich kaum zu genügen. Deshalb setzt sich der Verein Kleinwohnformen auch für eine einheitliche und unkomplizierte Bewilligungspraxis und für gesetzliche Anpassungen zugunsten von Kleinwohnformen ein. Wenn ich aber an die Vorgaben des Raumplanungsgesetzes denke und die heutigen Vorschriften für Neubauten, erscheint mir die Idee, einfache Häuschen neben Minergie-P-Mehrfamilienhäusern zu erstellen, etwas utopisch.
Dazu sagt Alesch Wenger, Architekt und Vizepräsident des Vereins: «Kleinwohnformen sollten, wie alle anderen Bauten, dem Energiegesetz Rechnung tragen, was mit der richtigen Konzeption auch problemlos möglich ist.» Es gelte hervorzuheben, dass solche Winzlinge beim 2000-Watt-Wohnen deutlich besser abschnitten als Neubauten im Minergie-Standard. «Und dies, obwohl sie teils gar nicht dem Energiegesetz genügen. Da gibt es Handlungsbedarf auf regulatorischer Ebene.»
Das Bett lässt sich an der Stelle des Tisches und der Sitzgelegenheiten herunterziehen. (Foto Céline Estermann-Erni)
Ich will es genauer wissen und frage in Sempach, Neuenkirch und Hildisrieden nach, wie sie zum Thema Kleinwohnformen stehen. Alle drei Gemeinden hatten weder bisher Baugesuche zu Kleinwohnformen bekommen, noch kennen sie vereinfachte Bewilligungsverfahren. Letzteres sei auch gar nicht möglich, müssten doch allfällige gesetzliche Anpassungen zuerst übergeordnet auf Kantons- und Bundesebene diskutiert werden, sagt der Neuenkircher Gemeindeammann Markus Wespi. Der fürs Bauwesen und die Raumordnung zuständige Hildisrieder Gemeinderat Dani Zwimpfer ergänzt, dass tiefere Energie- und Dämmstandards mit den neuen Energiegesetz heute nicht möglich seien. «Zur Beurteilung der Wohnnutzfläche ist es nach wie vor wichtig, dass wir detaillierte Pläne erhalten.»
Für die Sempacher Bauvorsteherin Mary Sidler machten Kleinwohnformen durchaus Sinn, auch angesichts der demografischen Entwicklung und der zunehmenden Anzahl Ein- bis Zwei-Personen-Haushalte. Sie müssten aber in einer dichten Bebauung untergebracht sein, um schonend mit dem Boden umzugehen. Und: «Diese Wohngebäude müssen sich wie alle anderen Überbauungen gut in die Umgebung eingliedern und von hoher architektonischer Qualität sein.» Von daher sehe sie auch keine verkürzten Verfahren. Somit fällt mein nordisches Holzhäuschen am Waldrand langsam auseinander wie ein Kartenhaus.
Und wenn es um geeignete Grundstücke der Gemeinden geht, rauben gleich alle drei Gemeinden Illusionen. Man müsse sich auf dem Markt und bei Privaten umsehen, sagen Markus Wespi und Dani Zwimpfer unisono. Und auch für Mary Sidler sind Grundstücke für Kleinwohnformen, die der Stadt Sempach gehören, «keine Option.»
Könnten somit Kleinwohnformen, die wie ein Wohnmobil betrachtet werden und nur temporär auf einem Grundstück ausserhalb der Bauzone stehen, ein Lösungsansatz sein? Nochmals Alesch Wenger vom Verein Kleinwohnformen: «Wohnen ausserhalb der Bauzone ist der falsche Ansatz. Wir unterstützen vielmehr das Nachverdichten und die Zwischennutzung, und zwar dort, wo Flächenreserven innerhalb der Bauzone zur Verfügung stehen.»
Das Holzhaus von Astrid Gerhardt hat auf einem Lastwagen Platz. Sie zeigt mit dem Tiny House, dass man klein aber durchaus mit Komfort wohnen kann.
Astrid Gerhardt ist Pilotin und Fahrlehrerin von Heissluft- und Gasballonen, und sie führt einen eigenen Ballon-Unterhaltsbetrieb für das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl). Darüber hinaus untersucht sie mit ihrem zweiten beruflichen Standbein als Architekturpsychologin die Wirkung von Räumen auf den Menschen. Sie selber lebt in einem Tiny House. Ihr Lastwagen mit dem aufgebauten Kleinwohnraum von rund 15 Quadratmetern steht gegenwärtig auf dem Camping Waldheim in Sursee.
Die 49-jährige Baden-Württembergerin, ist vor vier Jahren in das Tiny House gezogen, nachdem sie in der Schweiz zu arbeiten begonnen hatte. Am einfachsten sei es, einen Platz auf einem Camping zu mieten, erzählt sie. Finde man einen Stellplatz ausserhalb der Bauzone, beispielsweise auf einem landwirtschaftlichen Grundstück, müsse man nach drei Monaten wieder weiterziehen. «Hier in Sursee ist es für mich ideal, und auch die Campingbetreiber sind sehr nett und unkompliziert», sagt Astrid Gerhardt.
Betritt man ihr Häuschen, ist man erst einmal überrascht vom hohen Raum und dem entsprechend luftigen Platzgefühl. «Ich habe die maximale Höhe ausgenutzt, damit das Tiny House strassenverkehrstauglich ist.» Kein bisschen Platz wird verschwendet. So befinden sich etwa tagsüber ein Stuhl, eine Sitzbank und ein Holztisch an der Stelle, an der sie abends ihr Bett von der Decke herunterlässt, geführt von Schienen an der Wand. Die Küche ist nach aussen ausfahrbar und bietet dadurch ordentlich Tiefe, ein Spülbecken, Kochplatten, jede Menge Schränke und Schubladen mit überraschend viel Stauraum. Und sogar ein Kühlschrank mit Gefrierfach gehört ebenso zur Ausstattung.
Bei ihrem Tiny House hat Astrid Gerhardt viel Wert auf Qualität und Ästhetik gelegt. Der grösste Teil der Aussenfassade ist aus geöltem Holz, die Wände sind mit formstabiler Holzfaserdämmung isoliert, der schöne Holzboden und die adretten skandinavischen Fenster, die sich nach aussen öffnen lassen, wirken edel. «Mir war wichtig, mit Holz zu bauen, auch wegen des Raumklimas», hält sie fest. Zudem sorgt ein schmucker Holzofen, nebst der eingebauten Bodenheizung für wohlige Wärme. Bald folgt eine Solaranlage, welche das Tiny House energieautark machen wird.
Die Wasserversorgung erfolgt über Tanks. Gleich hinter der Führerkabine befindet sich das Bad mit Dusche. Die Komposttoilette funktioniert ohne Wasser. Die festen Hinterlassenschaften der Benutzenden werden wieder in den Nährstoffkreislauf zurückgeführt, das Urin wird getrennt gesammelt. «Ich habe lange an einem geschlossenen Abwasserkreislauf mit natürlichem Reinigungsgranulat getüftelt», erläutert Gerhardt. Doch schliesslich habe sie diese Idee fallen lassen müssen.
Für sie bedeute das Leben im Tiny House Freiheit und Unabhängigkeit. «Ich kann jederzeit weiterziehen und habe immer alles, was ich zum Leben brauche, bei mir.» Sie besitze auch nicht mehr Dinge als wirklich nötig. Eine kleine Terrasse fehlt genauso wenig wie etwas Umschwung, Rasen und Sichtschutz. Fast wie bei einem Einfamilienhaus in Miniaturausführung. Das Leben in einer Kleinwohnform ist also möglich – und kann auch recht günstig sein, hat Astrid Gerhardt doch lediglich rund 50’000 Franken aufgewendet. Doch sie hat natürlich ordentlich Eigenleistungen und viel Zeit aufgewendet, weil sie alles von Grund auf geplant mit konstruiert hat.
Es ist aber auch deutlich geworden, dass ein solches Leben ein grundlegendes Umdenken und den Willen erfordert, mit weniger zufrieden zu sein und sich stärker einschränken zu wollen. Etwas, dass unumgänglich zu sein scheint, um die Herausforderungen der heutigen Zeit wie etwa die unnatürlich rasche Klimaveränderung noch entschärfen zu können.
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