Die Zeit vergeht schnell und schon in kurzer Zeit kann sich einiges verändern. So lässt sich wohl nur schwer erahnen, was ein Jahrzehnte alter Baum alles zu erzählen wüsste. Beispielsweise hat die alte Blutbuche in der Seevogtei im Sempacher Vorderstädtli in all ihren Jahren vieles an Sempacher Geschichte miterlebt. Als stille Beobachterin wurde sie im Jahr 1959 Zeuge, wie die Scheune in der Seevogtei in lodernden Flammen aufging. Auf einem Bild aus dem Jahre 1959, das der Sempacher Apotheker Cyrill Faden aus dem Fundus seines Grossvaters Caspar Faden schöpfen konnte, ist das Gerippe des Dachstocks der Scheune zu sehen. Kurz nach dem Brand wurde die Scheune wieder aufgebaut. Schon der Vorgänger war zu Beginn des Jahrhunderts ein Opfer der Flammen geworden, wie Stadtarchivar André Heinzer zu berichten weiss, und 1902 durch einen Neubau ersetzt worden.
Fäulnis war entscheidend
Am Mittwoch vergangener Woche musste der alte Zeitzeuge jedoch das Zeitliche segnen. Nach einer umfassenden Untersuchung im Februar kam die Stadt zum Schluss, dass der Baum gefällt werden müsse. Dies, da die Buche von unsachgemässem Zurückschneiden vor vielen Jahren sehr geschwächt und grossflächig von Fäulnis befallen war. Gemäss einem Gutachten der Murer Baumpflege GmbH aus Kulmerau hatte sich bei allen Astungswunden ein parasitärer Pilz namens «Schuppiger Porling» festgesetzt, der ins Stammholz eindringt und dieses zersetzt. Er sei ein sicheres Zeichen grösserer Faulstellen im Baum. Messungen hatten dies denn auch bestätigt und weil die 22 Meter hohe Blutbuche mit ihrer markanten Krone und den roten Blättern an einem von Kindern stark frequentierten Ort steht, blieb der Stadt nur der Entscheid zur Fällung. Mit einem Kran trug man die Blutbuche stückweise ab, zum Schutz der umliegenden Liegenschaften.
Zeit des Umbruchs
Die stattliche Blutbuche in der Seevogtei hatte noch ein Städtlileben der rasanten Veränderungen mitbekommen. 1959 zählte zu den Nachkriegsjahren, welche dank des steigenden Wohlstandes einen markanten technologisch-gesellschaftlichen Wandel mit sich brachten. «Mechanisierung und Motorisierung inklusive Traktoren und Automobilen entwickelten sich damals rasch weiter», erzählt André Heinzer. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung habe schon damals eine Waschmaschine besessen. «Eingekauft wurde freilich noch vorwiegend in den Spezereiwarenhandlungen im Städtli oder beim mobilen Warenladen der Migros.»
Wohnort wichtiger Leute
Auf dem Bild von 1959 zu sehen ist ganz links der alte Pfarrhof sowie gleich anschliessend die sogenannte Knochenstampfi. Der im 13. Jahrhundert errichtete alte Pfarrhof gehört zu den ältensten Bauwerken in Sempach. Er dürfte seit jeher Personen mit einem gewissen Status als Wohnsitz gedient haben. Dazu zählte auch der Leutpriester Joseph Bölsterli, der 1848 vom Pfarrhof in seine Pfarrwohnung im neu errichtete Apfli zog. «Der Gesang der Sempacher Sänger lullte mich in den ersten Schlaf in der neuen Herberge», ist Bölsterlis Aussage dem Stadtarchiv zu entnehmen.
Strom statt Wasserenergie
Die mit Wasserkraft betriebene Knochenstampfi war ursprünglich 1872 als Gipsmühle konzipiert worden. Doch schon bald änderte die Bestimmung: Knochen wurden mit Hilfe der Mühle zu Knochenmehl zerkleinert, welches in der Landwirtschaft als Düngemittel diente. Mitte des vergangenen Jahrhunderts hatte die direkte aus Wasserkraft gewonnene Energie laut André Heinzer längst nicht mehr dieselbe Bedeutung wie noch 1872. «Seit der Jahrhundertwende setzte in Sempach die Elektrifizierung ein und die wasserbetriebenen Mahlwerke stellten ihren Dienst sukzessive ein. Am längsten währte das Sägewerk der heutigen Sägematt an der Hildisriederstrasse, das bis ungefähr zur Mitte des 20. Jahrhunderts unterstützend mit Wasser betrieben worden war.»
Das Reich des Seevogts
Nun ist die Seevogtei also um einen augenfälligen und grossen Baum ärmer. Dieser Ort umfasste den ganzen Seebereich, weil hier der Seevogt die Aufsicht über die Fischerei ausübte und mit der hierfür notweniden notwendigen Gerichtsbarkeit ausgestattet war. Er stand in Diensten der Herrschaft Habsburg und war später Beauftragter Luzerns, nachdem die Stadt den See in Besitz genommen hatte. Noch im 18. Jahrhundert war die gängige Schreibweise «Seevogtey». Im Verlaufe des 19. Jahrhunderts habe sich dann im Zuge von orthografischen Vereinheitlichungsbestrebungen der Diphthong «ei» gegenüber «ey» durchgesetzt, weiss der Sempacher Stadtarchivar. Einzig das Kinder- und Mütterhaus heisst noch «Seevogtey». André Heinzer: «Ob dies eine historische Reminiszenz oder schlicht eine originelle Flurnamensvariante darstellt?»
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