Das Bierhaus 1785 ist schon rein äusserlich ein Blickfang. An der Fassade prangt das historische Wirtshausschild des «Winkelried» und der kleine schmucke Balkon ist der einzige in der Sempacher Altstadt. Beides hat Orest Jaworsky, der Chef des Hauses, der die Liegenschaft des ehemaligen Wirtshauses «Winkelried» 1998 gekauft hatte, restaurieren lassen. Das Wirtshausschild alleine verschlang nach Angaben des gebürtigen Bayern «einen mittleren fünfstelligen Betrag». Und auch die Renovation des Balkons, des einzigen im ganzen Städtli, und der Fassade kostete eine beträchtliche Summe. An diese Investitionen hatte die Stadt Sempach namhafte Beiträge geleistet.
Zurück ins Jahr 1785
Aber auch das Innere des Bierhauses 1785 wirft den Betrachter zurück in eine längst vergangene Zeit, wie sie schon die Jahreszahl «1785» beim Namen Bierhaus, das Baujahr des Gebäudes, suggeriert. Die nackten, aber doch heimelig wirkenden Steinwände sind zu sehen, alte, teils knorrige und durch Spalten gezeichnete Holzbalken zieren die Decke und zu Füssen liegt ein prächtiger Parkettboden, ebenfalls aus Holz. Orest Jaworsky sitzt in einem bequemen Sessel an einem Tisch. Der Raum ist erfüllt von sanfter Bluesmusik – kein Lärm, kein Brimborium, sondern einfach eine ruhige, behagliche Gemütlichkeit. Das wäre auch nicht anders, würden Gäste an den Tischen sitzen. Doch das Bierhaus 1785 ist verwaist, gezwungenermassen, hat doch zum zweiten Mal in diesem Jahr die Corona-Pandemie in diesem und allen anderen Gastronomiebetrieben im Kanton den Schlüssel gedreht.
Die «gute Stube» in der Beiz
Auch Orest Jaworsky selber wirkt ruhig und entspannt. Er wählt seine Worte mit Bedacht, wenn er von den gut 22 Jahren erzählt, seit denen er diese mehrstöckige Lokalität in der Sempacher Unterstadt gastronomisch belebt. Im Erdgeschoss finden Bierliebhaber in einem Verkaufsladen eine reiche Auswahl an Gerstensäften aus der ganzen Welt und in der Raucherbar lässt es sich wie früher auch die eine oder andere Zigarre geniessen. Einen Stock höher sind Hopfen und Malz ebenfalls keineswegs verloren, sind doch auf der Getränkekarte, gleich wie im Laden, über 100 Biere zu finden. «Wir bieten historische, urtümliche Biere genauso an wie neue, innovative Erzeugnisse», erzählt Orest Jaworsky. Weil dazu auch ein währschafter Bissen passt, lässt das Bierhaus 1785 täglich bayerische Spezialitäten auftischen. Dazu zählen etwa hausgemachter Hackbraten, Kässpatzen, Brotzeitteller und natürlich Münchner Weisswürste und Brez’n.
Das Konzept aus Bierkultur, historischer Wirtshausatmosphäre und Entschleunigung komme an. «Ich darf Gäste aus der ganzen Deutschschweiz begrüssen», sagt der Wirt. Gerade auch im Sommer fühlten sich auch Touristen aus dem In- und Ausland durch das Angebot angesprochen. Doch Jaworsky brauchte mehrere Anläufe, bis er dort landete, wo er heute ist. Erst einmal hatte er das «Winkelried» mit der gutbürgerlichen Küche weitergeführt. Doch das Sterben traditioneller Dorfwirtschaften machte auch vor der Sempacher Altstadt nicht Halt. Ende der 90er- und Anfang der 00er-Jahre war die Zeit neuer Gastronomiekonzepte gekommen und die internationale Küche machte sich breit.
Viel Flexibilität gefordert
Orest Jaworsky versuchte es mit Spielautomaten, setzte dann auf die Karte Bar und Pub, bevor er viele Jahre lang auch Live-Blueskonzerte durchführte. All dies sprach eine gewisse Zeit ein Publikum an, ohne sich aber wirtschaftlich nachhaltig zu lohnen. 2015 entschied er sich für ein besonderes Wagnis. «Ich wollte die spezielle Ambiance des alten Gebäudes wieder erlebbar machen.» Drei Jahre dauerte der auch von der Denkmalpflege begleitete Umbau, der eigentlich mehr ein Rückbau war. Denn vieles war in der Zeit seit 1785 den ursprünglichen Wänden und Böden übergestülpt worden, ohne Rücksicht auf das Darunterliegende. «Die Wände wiesen Löcher auf, waren voll Russ oder mit Farbflecken versehen», erzählt Orest Jaworsky ein Beispiel von vielen, welche kostspielige und aufwändige Restaurationen nötig machten. Nach seinen Angaben ist ins Bierhaus 1785 insgesamt rund eine Million Franken investiert worden, ein Grossteil davon während den vergangenen fünf Jahren. Im zweiten Stock, wo sich ein historischer Saal für Gesellschaften befindet, ist der Umbau noch im Gang.
Doppelter Corona-Hammer 2020
«Wir haben aufs richtige Pferd gesetzt», ist Orest Jaworsky überzeugt. Nun habe sich der Erfolg eingestellt. Doch dann kam im Frühling dieses Jahres Corona. «Die Pandemie hat uns abrupt gestoppt», sagt der knapp 70-Jährige, der das Bierhaus zusammen mit seiner Frau Regula Jaworsky-Sigrist führt und sechs weitere Angestellte beschäftigt. Dank des Covid-Kredits sei er durch die schwierige Zeit gekommen. «Im Sommer wurden wir wieder von den Gästen überrollt. Wir konnten die Umsätze stabilisieren.» Mitgeholfen hätten dabei auch die treuen Sempacher Stammgäste.
Es sah ganz danach aus, als könnte 2020 für das Bierhaus 1785 doch noch ein gutes werden. Auf Initiative von Orest Jaworsky hatte die Stadt Sempach den Gastronomen im Städtli ab dem Frühsommer ermöglicht, mehr Aussenraum für Gartenwirtschaften zu nutzen. Das Bierhaus 1785 kam so zu 20 zusätzlichen Aussenplätzen. «Diese haben uns wirklich durch die Krise geholfen», sagt Jaworsky. «Für 2021 hat der Stadtrat das Provisorium bereits wieder bewilligt.» Die Perspektiven wären also den Umständen entsprechend da gewesen. Doch dann rollte die zweite Corona-Welle übers Land. «Seit Mitte Oktober haben wir über die Hälfte der üblichen Umsätze verloren.» Mit der Schliessung der Restaurants sieht es nun noch düsterer aus.
Energie tanken für Neustart
Der Wirt mit dem charakteristischen Hut wird nachdenklich, wenn er an 2021 denkt. Er könne sich zwar vorstellen, dass es im Frühling wieder losgehe und der Sommer ähnlich gut werden könne wie in diesem Jahr. «Doch im Herbst ist zu befürchten, dass das Coronavirus wieder zurückkommt. Dann muss die Schweiz einfach besser vorbereitet sein, als sie es in diesem Herbst war», mahnt Jaworsky. Hätte er denn lieber gehabt, die Restaurants wären nicht geschlossen worden? «Rein wirtschaftlich gesehen schon», sagt er, doch: «Die Gesundheit geht vor. Der Bundesrat war zu zögerlich. Er hätte viel früher einen strikten zweiten Lockdown durchziehen sollen – bei weitsichtig aufgegleisten Finanzhilfen für die Wirtschaft.» Das Risiko für eine dritte Welle bleibe. «Einen weiteren Lockdown verkrafte ich nicht», macht Orest Jaworsky deutlich. In einem solchen Fall würde das Bierhaus 1785, das er als einen «Grossteil seines Lebenswerks» bezeichnet, in Trümmern liegen.
Doch noch sind die Lichter an und die sanfte Hintergrundmusik ist zu hören, während Orest Jaworsky im bequemen Sessel sitzt. «Der erneute Lockdown der Restaurants hat auch etwas Gutes», sagt er, und lächelt schon wieder. «Wir können uns geistig und körperlich vom anstrengenden Jahr 2020 erholen. Ich trage noch immer Zuversicht, Energie und Ideen in mir.»
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