Noch 60 Kilometer, dröhnt die Stimme von Speaker Michi Stalder aus den Lautsprechern. Die Zuschauer, die bereits seit einer halben Stunde an den Abschrankungen stehen, um sich die beste Sicht auf die Rennbahn zu sichern, rücken auf. Niemand will den Endspurt verpassen. Plötzlich stöhnt die Menge auf – es gab einen Massensturz in Grosswangen. Auf dem Grossbildschirmen schauen die Leute zu, wie die Fahrer sich aufraffen, den Schaden an ihren Velos betrachten und sie sogar gegen Neue austauschen müssen.
Noch 10 Kilometer. Noch fünf Minuten bis zur Zieleinfahrt. Die Zuschauer drängeln und drücken sich nun gegeneinander. Und dann kommen sie um die Kurve geschossen. Der letzte Sprint beginnt. Pavel Bittner (Tschechien), Arnaud Démare (Frankreich), Wout Van Aert (Belgien) und Biniam Girmay (Eritrea) liefern sich ein Kopf an Kopf Rennen. Auf den letzten Metern treten alle kräftig in die Pedalen bis die Waden brennen, doch Girmay macht Abstand gut und zieht an den anderen vorbei ins Ziel. Der eritreische Fan-Club hinter der Abschrankung gegenüber johlt.
Für den 23-jährigen Biniam Girmay ist es der erste Etappensieg an der Tour de Suisse. Kurz nach der Zieleinfahrt kehrt er mit dem Velo auf die Rennbahn zurück, im Schlepptau sein jubelnder Fan-Club. Frauen, Männer, Kinder rennen hinter ihm her, schwingen Fahnen, tragen rot-blau-grüne Capes um die Schultern, springen, tanzen und singen. Doch die Rennbahn ist noch nicht freigegeben, Security-Personal geleitet den Fanclub von der Rennbahn. Doch die Freude bleibt ungebrochen. Sie haben Geduld. Denn bereits den ganzen Nachmittag jubelten und feuerten sie ihren Helden von Nottwil aus an. Die Energie des Fan-Clubs scheint endlos.
Es ist erstaunlich wie viele Menschen es an einem 32 Grad heissen Montag nach Nottwil geschafft haben. Die Beizli entlang der Rennbahn sind voll und jedes noch so kleine Schattenplätzchen scheint vergeben. Nur gut das die Werbekolonne mit «Chäppi», Fächer und Getränken vorausgedacht hat. Gierig strecken die Menschen die Arme nach den vorbeifahrenden, geschenkeverteilenden Autos aus.
Für Auflockerung sorgte das Tour de Suisse Maskottchen «Tourli», das mit den Zuschauern übte möglichst viel Krach zu machen. Nach mehreren Trainings wurde eine Lautstärke von über 94 Dezibell erreicht. Nebenbei durften spezielle Velos auf der Rennbahn ausprobiert werden: schräge Velos, Velos mit zwei Sitzen, Velos, die wie siamesische Zwillinge aneinandergeschweisst wurden, Mini-Velos. Ebenfalls sehr spannend war die Einfahrt der historischen Radfahrerkompanie.
Nach einer ausführlichen Erkundungstour des Rahmenprogramms in Nottwil, unternahm diese Zeitung einen Abstecher in den VIP-Bereich der Tour de Suisse. Vor allem kulinarisch wurde man dort besonders verwöhnt. So gab es Glace, Kaffee, feine Häppchen bis zu ganzen Portionen Risotto oder Pasteten. Neben der Verpflegung staunte man aber auch nicht schlecht, wenn plötzlich Schwingerkönig Matthias Sempach an einem vorbei stolzierte.
Dieser gab später der Moderatorin auch noch ein Interview, das über die Lautsprecher für alle zu hören war. Sie wollte von Matthias Sempach wissen, wie er zur Tour de Suisse steht. Der Schwinger antwortete: «Für mich ist extrem eindrücklich, was die Fahrer leisten. Da denke ich mir manchmal, das würde ich mir nicht antun wollen. Aber jeder findet irgendwann die Sportart, die zu einem passt. Bei mir war es das Schwingen.»
An der Rangverkündigung nach dem Rennen wurden Etappensieger Biniam Girmay sowie auch 1. in der Gesamtwertung, Stefan Küng, geehrt. Im Anschluss bat man den gebürtigen Geuenseer und nun in Nottwil wohnhaften Radrennfahrer Michael Schär auf die Bühne. Für Schär war es die 11. und zugleich die letzte Tour de Suisse. OK-Präsident Walter Steffen und Ex-Radprofi sowie Mitglied der Direktion der Tour de Suisse, Matthias Frank, bedankten sich bei Michael Schär für seine Leistung. Auf die Frage, wie ihm die Tour de Suisse gefallen habe, meinte Schär: «Heute war super speziell. Ich hatte den ganzen Tag ein Lächeln auf den Lippen. Das hatte ich wohl noch nie so an einem Velorennen. Es war sehr emotional.» Besonders habe er sich über das grosse «Hopp Michi»-Plakat gefreut, das die Geuenseer extra für ihn aufgehängt hatten.
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