In der Region Sempachersee gelangen immer noch zu viele Schadstoffe aus der Landwirtschaft in die Natur. Herrührend aus der Gülle, belasten Phosphor und Ammoniak sensible Ökosysteme (wir berichteten). Der Präsident des Luzerner Bäuerinnen- und Bauernverbandes, Jakob Lütolf, erklärt die heutigen Herausforderungen, in denen sich die Landwirtschaft befindet. Und er wehrt sich dagegen, mit dem Finger immer nur auf die Landwirte zu zeigen.
Jakob Lütolf, tun die Landwirte genug, damit Schadstoffe aus den Betrieben die Natur weniger belasten?
Die landwirtschaftlichen Betriebe haben schon viel zur Verbesserung der Situation beigetragen. Seit Jahren sind Bestrebungen im Gang, um den Eintrag von Phosphor und Ammoniak in sensible Ökosysteme zu reduzieren.
Tatsache ist aber, dass der Sempachersee wegen des Phosphors noch immer künstlich belüftet werden muss und die Ammoniakeinträge in die Ökosysteme nur leicht zurückgegangen sind.
Ja, das ist so. Wir sind uns unserer Verantwortung bewusst und nehmen diese auch war. Doch immer nur mit dem Finger auf Bauern zu zeigen, ist nicht zielführend. Wir produzieren schliesslich nur jene Lebensmittel, die von den Konsumenten nachgefragt werden. Das Medienbashing der vergangenen Zeit hat vielen Bauern zugesetzt.
Es wird nach wie vor zu viel Phosphor in den Sempachersee geschwemmt. Was können die Landwirte aus Ihrer Sicht noch besser machen?
Mit den Seeverträgen haben viele Betriebe vor allem die Phosphordüngung bereits massiv reduziert. Mit der neuen Phosphorverordnung des Kantons werden nun sämtliche Landwirte im Zuströmgebiet des Sees nur noch 90 Prozent des von den Pflanzen benötigten Phosphors einsetzen dürfen.
Denken Sie, dass dies ausreicht, um den Sempachersee nachhaltig gesunden zu lassen?
Der Prozess der Entfernung der Schadstoffe aus den Böden im Zuströmbereich dürfte lange dauern, rund 30 Jahre. Für uns ist noch unklar, wie weit die Altlasten im See eine nachhaltige Gesundung des Sees beeinflussen. Die Massnahmen in der Landwirtschaft sind ein wesentlicher Teil. Man darf dabei aber nicht vergessen, dass ja nicht nur die Landwirtschaft für die Phosphoreinträge in den See verantwortlich ist. Wie eine Studie beim Baldeggersee gezeigt hat, war während des ganzen Jahres etwa gleich viel Phosphor in den See geschwemmt worden.
Die Bauern hingegen dürfen im Winter keine Gülle ausbringen …
Ja. Dies zeigt eigentlich, dass nicht die jetzige Tierhaltung, sondern jene von früher die Problematik provoziert hat. Auf der anderen Seite erwarten wir, dass bei der Siedlungsentwässerung noch konsequenter Trennsysteme etabliert werden. Aus unserer Sicht kommt immer noch zu viel Phosphor bei Starkniederschlägen mittels der Regenwasserentlastung in den See.
Aus der Gülle stammt auch das Ammoniak, das über die Luft und durch Regen in Wälder und weitere Ökosysteme gelangt. Wieder liegt die Ursache in der tierintensiven Landwirtschaft in der Region …
Überall, wo tierische Eiweisse produziert werden, entsteht Ammoniak. Eine massive Reduktion ist nicht ganz einfach. Die Schleppschlauchpflicht wird kommen, ebenso sind Güllenlöcher zwingend abzudecken, damit weniger Ammoniak in die Luft gelangt. Wir Landwirte wollen hier unseren Beitrag leisten, auch wenn solche Vorgaben eine Herausforderung darstellen.
Inwiefern?
Nehmen wir das Beispiel des limitierten Ausbringens der Gülle. Überschüsse müssen von den Betrieben weggeführt werden, was immer auch einen organisatorischen und finanziellen Aufwand nach sich zieht. Für solche Mehraufwendungen und allfällige Mindererträge werden die Landwirte nur teilweise entschädigt.
Aber es gibt diese finanziellen Anreize.
So einfach ist das nicht. Bei der Phosphorverordnung beispielsweise sind alle gehalten, nur noch 90 Prozent des Phosphorbedarfs der Pflanzen auszubringen – ohne Entschädigung. Erst wer nur noch 80 Prozent austrägt, bekommt Beiträge, dafür doppelt so hohe.
Haben Tiere freien Auslauf, ist das paradoxerweise nicht so gut für die Umwelt, weil mehr Ammoniak entweicht. Ist es somit besser, alle Tiere wieder immer im Stall zu halten?
Nein, natürlich nicht. Der Konsument will ja auch eine möglichst tiergerechte Haltung, genauso wie ich diese befürworte. Man muss sich des Zielkonflikts beim Ammoniak aber einfach bewusst sein. Mittels technischer Einrichtungen kann man sicherlich bei Freilaufställen noch einiges verbessern. Und ich setze auch viel Hoffnung in die Forschung, etwa bei der Fütterung, aus der weniger Schadstoffe hervorgeht.
Warum haben die Landwirte hier in der Region eigentlich so viele Schweine und Kühe?
Es besteht sicherlich eine gewisse Affinität der Landwirte im Kanton Luzern für die Tierhaltung. Auch sind in unserer Region mehrere starke Betriebe aus dem vor- und nachgelagerten Bereich zu Hause. Zudem hat die eher unterdurchschnittliche Betriebsgrösse zu dieser inneren Aufstockung beigetragen. Leider haben sich später die negativen Folgen für die Natur deutlich gezeigt.
Wer einen Schaden verursacht, muss für die Kosten auch geradestehen. Warum ist das bei der Landwirtschaft nicht so?
Die Landwirte haben ihre Tierhaltung damals völlig legal geschaffen und viel Geld dafür investiert, weshalb ihnen heute kein Vorwurf deswegen gemacht werden darf. Es wäre etwas anderes, hätten sie etwas Verbotenes getan.
Beiträge von der öffentlichen Hand haben mitgeholfen, dass die Tiere heutzutage genügend Auslauf haben. Müsste es nicht im ureigenen Interesse der Landwirte liegen, dass es ihren Tieren gut geht?
Natürlich haben wir Freude an unseren Tieren und schauen gut zu ihnen. Doch es ist auch immer eine Frage des Masses, wie viel von den Landwirten verlangt wird. Gerade für kleinere Betriebe kann es an die wirtschaftliche Existenz gehen, wenn plötzlich viel schärfere Vorschriften folgen.
Sprechen Sie hier das Phosphorprojekt III an, dass nun nochmals um ein Jahr hinausgeschoben werden dürfte?
Es war nun einfach mal so, dass viele Betriebe überrumpelt waren, als es Anfang Dezember hiess, auf den 1. Januar 2020 werde das neue Projekt inkraft gesetzt. Es ist schlicht unmöglich, mit dieser kurzen Vorlaufzeit die nötigen Massnahmen in die Wege zu leiten. Dies hat mittlerweile auch die Verwaltung eingesehen.
Dennoch: Die Schadstoffbelastung aufgrund der intensiven Landwirtschaft in der Region ist zu hoch. Haben wir diese Zeit?
Wir müssen uns diese Zeit nehmen. Ich bin überzeugt, dass der Plafond bei den Tierbeständen in der Region erreicht ist. Der Strukturwandel ist im vollen Gang, doch es braucht einen organischen Prozess, damit er für den einzelnen Bauern auch machbar ist und wirtschaftlich verträglich geschieht.
Wäre denn die Haltung von weniger Tieren nicht schnell umsetzbar, wenn der Landwirt dafür noch andere Einnahmequellen generiert?
Das geschieht schon, denn die Vielfalt ist die Stärke auch der hiesigen Landwirtschaft. Doch das geht nicht von heute auf morgen. Der eine Betrieb mag beispielsweise mit Ackerbau noch etwas wachsen können, andere Bauern bilden Betriebsgemeinschaften, wieder andere finden in der Direktvermarktung oder in Bio ihr Glück.
Und Agrotourismus?
Das ist hierzulande nach wie vor eine Nische. Die Möglichkeiten sind zudem aufgrund der Vorgaben des Raumplanungsgesetzes beschränkt.
Sie selber führen einen Milchwirtschaftsbetrieb mit Ackerbau. Was wünschen Sie sich, damit Ihnen das Bauern leichter fällt?
Es ist sicher so, dass das Ausmass an Bürokratie in der Landwirtschaft gross ist. Ich wünschte mir, man würde gewisse Dinge wieder vereinfachen. Mit gut 60 Rappen liegt der Milchpreis nach wie vor an der unteren Grenze. Er müsste bei 65 bis 70 Rappen liegen, damit der Betrieb rentabler würde und man Investitionen amortisieren könnte.
Wer heute Milch aus einem Regal beim Grossverteiler zieht, weiss nicht, was alles hinter diesem Produkt steckt. Hat sich die heutige Konsumgesellschaft von der Landwirtschaft entfremdet?
Ja, und die Landwirtschaft ist gefordert, das Bewusstsein und die Sensibilität in der Bevölkerung wieder zu stärken. Früher prägte die Landwirtschaft das tägliche Leben stärker und war auch in der Schule präsenter.
Was kann ich machen, wenn ich mehr erfahren will, wie es in der Landwirtschaft läuft?
Da gibt es viele Möglichkeiten. Man kann etwa auf Märkten, an 1.-August-Brunches oder an Tagen der offenen Stalltüren mit Landwirten ins Gespräch kommen. Heutige Landwirte sind aufgeschlossen. Man kann sie auch auf ihren Höfen besuchen, um sich selber ein Bild vor Ort zu machen.
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