700 Millionen – so viele Stunden Freiwilligenarbeit werden in der Schweiz gemäss aktuellsten Zahlen jedes Jahr geleistet. Dies sind gleich viele Stunden wie im ganzen Sozial- und Gesundheitsbereich in der Schweiz in der gleichen Zeit geleistet werden und würden – wenn entlöhnt – 5,5 Prozent des gesamten Bruttoinlandprodukts entsprechen. Neben diesen beeindruckenden Zahlen ist die Freiwilligenarbeit ein Fundament der Gesellschaft, wie sowohl der Stadtrat Hanspeter Achermann als auch die Soziologin Cornelia Hürzeler nachdrücklich betonten. Die Soziologin war vom Stadtrat Sempach eingeladen worden, den «Status Quo» der Freiwilligenarbeit in der Schweiz in einem einstündigen Inputreferat zu präsentieren. Im Vorgang hat sie als Projektleiterin des Migros Kulturprozents eine Studie mitverfasst und verantwortet, welche aufzuzeigen versucht, wie es um die Freiwilligenarbeit in der Schweiz im Jahre 2019 bestellt ist. In ihrem Referat hob Cornelia Hürzeler die zentrale Rolle der ehrenamtlichen Tätigkeit für den Fortbestand einer aktiven und engagierten Zivilgesellschaft hervor – insbesondere im «Milizland» Schweiz. Doch der Fortbestand dieses gesellschaftlichen Fundaments scheint heute nicht mehr garantiert: Insbesondere die formelle, also im Rahmen eines Vereins bzw. einer Organisation stattfindende Freiwilligenarbeit, ist in den letzten zehn Jahren zurückgegangen. Hürzeler machte diesbezüglich darauf aufmerksam, dass die klassische Freiwilligenarbeit sich mit mehreren gesellschaftlichen Entwicklungen konfrontiert sieht, welche zum beobachteten Rückgang führen würden. Dies ist einerseits eine gesteigerte gesellschaftliche Mobilität in allen Bereichen, aber auch ein vermehrter Wunsch nach Individualisierung und Flexibilität, welche das Mitwirken im Rahmen einer lokal verankerten und andauernden Vereinstätigkeit weniger attraktiv machen würden. Diese beiden Entwicklungen würden Verwurzlungen und Traditionen infrage stellen, die vormalig über Jahrzehnte Bestand hatten und Freiwilligenarbeit begünstigten. Betont wurde aber auch die Verantwortung der öffentlichen Hand, welche riskieren würde, mit Reformen des sogenannten New Public Managements die Partizipationsbestrebungen der Zivilgesellschaft zu unterwandern. Schliesslich sei auch die Digitalisierung ein Risiko für den Fortbestand der Freiwilligenarbeit, auch wenn sich daraus auch neue Möglichkeiten der Freiwilligenarbeit kreieren liessen.
Heterogene Freiwilligenarbeit
Die Soziologin zeigte in ihrem Referat aber nicht nur die gesellschaftlichen Entwicklungen auf, sondern auch, was Freiwilligenarbeit und insbesondere die Menschen dahinter ausmacht und charakterisiert. Freiwillig Arbeitende eint vor allem ihre Motivation: Das Wichtigste sei der Spass an der ausgeübten Tätigkeit. Des Weiteren vereine viele freiwillig tätige Leute die Motivation, eine sinnstiftende Arbeit leisten zu wollen. Schlussendlich sei es auch ein Wunsch vieler Freiwilligen, nicht geführt zu werden, wie dies in der bezahlten Arbeitswelt oftmals der Fall ist, sondern in ihre Tätigkeit eingeführt zu werden, welche danach zu selbstständiger Arbeit führen wird. Cornelia Hürzeler schloss ihr Referat mit dem Aufruf an die anwesenden Vertreter der Sempacher Behörden, weiterhin Haltung und Sorgfalt im Umgang mit ehrenamtlich Engagierten an den Tag zu legen, um das «essenzielle Schweizer Gen der Freiwilligkeit» am Leben zu erhalten. Kurzfristige Rezepte seien, so Hürzeler, die falsche Lösung, um der Vielfalt der Freiwilligenarbeit Rechnung zu tragen.
Im Anschluss an das Referat erhielten zudem verschiedene Sempacher Freiwilligenorganisationen die Möglichkeit, sich und ihre Arbeit in der Region Sempach vorzustellen und gleichzeitig für neue, interessierte Helferinnen und Helfer zu werben. Hierbei wurde die von Hürzeler angesprochene Heterogenität der Freiwilligen ersichtlich: Während die Aktionsgruppe Asyl Sempach (AGAS) sich beispielsweise um eine bessere Integration geflüchteter Menschen in Sempach bemüht, stellt der Verein «Bsuech» durch Hausbesuche die Inklusion von verschiedentlich sozial isolierten Menschen in den Mittelpunkt. Neben diesen beiden Vereinen präsentierten auch der Frauenbund Sempach, die aktiven Senioren, die Schule Sempach und das Sozialamt der Stadt Sempach ihre vielfältige Arbeit zur Mithilfe von Menschen, die auf ein ehrenamtliches Engagement angewiesen sind. Um dieses Engagement noch fassbarer zu machen, präsentierten Menschen ihre Erfahrungen und Motivationen, die sich freiwillig in Sempach betätigen. Gemäss diesen Ausführungen sei es insbesondere die Dankbarkeit und Wertschätzung der Menschen, die den Freiwilligen Freude bereiten würde. «Man muss Menschen mögen» – so benannte einer der Sprechenden prägnant den gemeinsamen Nenner der ehrenamtlichen Tätigkeit.
Lob für die Gemeinde Sempach
Hanspeter Achermann, der Sozialvorsteher der Stadt Sempach, merkte hierbei dankend an, dass Sempach ohne Freiwilligenarbeit «undenkbar» sei. Bei dieser Gelegenheit verwies Achermann auch auf das innovative Online-Portal der Stadt, welches bereits verschiedentlich genutzt werde und auch von anderen Gemeinden bereits nachgefragt werde. Bezüglich des Online-Portals wurde der Sozialvorsteher denn auch von der Soziologin Cornelia Hürzeler gelobt: Dieses sei alles andere als Standard in der Schweizer Gemeindelandschaft und ein löbliches Beispiel dafür, wie die Gemeinden selber die Freiwilligenarbeit besser fördern könnten – ohne die Selbstverantwortung der Aktiven zu untergraben. Freiwillige und insbesondere diejenigen, die an einer freiwilligen Arbeit interessiert sind, scheinen in Sempach vielfältige Möglichkeiten zu haben, um sich in der Zivilgesellschaft zu engagieren. Einig waren sich an diesem Abend wohl alle knapp 90 Anwesenden: Zur Beibehaltung dieses Fundaments der Schweizer Gesellschaft und im Sinne einer aktiven Zivilgesellschaft bleibt es auch in Zukunft zentral, gemeinsame Symbiosen zu nutzen und die Arbeit der Freiwilligen wertzuschätzen. Der Tag der Freiwilligen ist diesbezüglich sicherlich ein weiterer Schritt in die richtige Richtung.
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