Unter «Wilden» ist eine kleine Gruppe von Fasnächtlerinnen und Fasnächtlern zu verstehen, die mit Kostümen und «Grende» an Umzügen mitmachen. Oder auch sonst an Anlässen die Fasnacht bereichern. Zu ihnen zählt seit über 10 Jahren die Geuenseer Familie Bienz. Sie nehmen unter anderem immer an den beiden grossen Umzügen in Luzern oder auch an der Städtlifasnacht in Sursee teil. Doch Letztere hat es dieses Jahr nicht gegeben, trotz der kürzlich erfolgten umfangreichen Lockerungen der Corona-Massnahmen. Oder besser gesagt, es hat sie nicht ganz gegeben. Denn am letzten Freitagnachmittag und -abend hat sich dennoch eine stattliche Zahl an begeisterten Fasnächtlern auf der Göldlinstrasse zwischen den Restaurants Schweizerheim und Giardino Steakhouse in Sursee versammelt, um quasi eine «Städtlifasnacht light» zu feiern, unter anderem mit dem Wagen der Schenkoner Kulturfasnachtsgruppe Schenkastico und mehreren Guuggenmusiken, die auf einer kleinen Bühne losschränzten.
«Es ist so schön, dass so etwas doch noch stattfinden konnte», sagt Jeannine Bienz-Albisser, die mit ihrem Mann Markus Bienz als Indianer verkleidet mitten im feiernden Fasnachtsvolk stehen. Sie beide sind seit 2009 mit einem Handwagen als wilde Gruppe an der Fasnacht mit dabei. Zuvor haben sie sie jahrelang in Guuggenmusiken mitgemacht; Jeannine Bienz bei den Bluetsuuger Triengen und Markus Bienz bei den Chommerouer Ratteschwanz. Bis 2019 waren auch ihre beiden Kinder Tim (16) und Nina (13) an Bord der wilden Gruppe. Nun haben sie aber andere Pläne an der Fasnacht. Wobei: «Vielleicht stossen sie später ja wieder zu uns», sagt Jeannine Bienz.
Der Startschuss zur nächsten Fasnachtssaison fällt bei den Geuenseer Fasnachtsbegeisterten jeweils schon im Mai. «Dann halten wir Familienrat ab. Jeder trägt seine Ideen vor. Danach entscheiden wir uns für ein Motto», erzählt Jeannine Bienz. Über den Sommer ist erst einmal sie gefragt, wenn sie die Kostüme näht. Auch wenn sie von sich behauptet, keine besonders gute Näherin zu sein, gehören sicher Fleiss und Ausdauer zu ihren Tugenden. Und staunende Blicke sind dem Kostüm schliesslich ebenso sicher wie den prächtigen Grende, die im Herbst gefertigt werden. Hierbei arbeiten sie mit dem Surseer Maskengestalter und Bildhauer Roger Stalder zusammen, ebenfalls ein bekannter Name in der Szene der Kulturfasnächtler. Mithilfe eines Maskensets lassen sich ausdrucksstarke und detailgetreue Grende modellieren, die am Ende aber auch ihr Gewicht haben.
Ziemlich schwer wird jeweils auch der Handwagen, mit dem die Familie auch schon mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Als Basis dient eine Handkarre, mit dem die Bauern früher ihre Milchkannen zu den Käsereien brachten. Mittlerweile durch Schaum in den beiden Pneus verstärkt, hält dieser fahrbare Untersatz nach Auskunft von Markus Bienz weit über 100 Kilogramm Gewicht aus. Je nach Strasse und Belag könne das Vorwärtskommen doch ein ziemlicher «Chrampf» werden, erzählt er. Die meiste Arbeit ist sowieso vor und nach einem Umzug zu tun, wenn es darum geht, das Ganze auf einen Autoanhänger zu laden, sicher zum Zielort zu fahren und dort wieder bereitzustellen.
Man versuche jedes Jahr den Wagen noch etwas ausgefeilter und besser zu machen, sagt Markus Bienz weiter. Die Ideen der Kinder hätten ebenso dazu beigetragen, dass immer mehr Equipment zu beschaffen gewesen sei. So gehören Rauchmaschine, Stromgenerator, Musikanlage und Beleuchtung unterdessen dazu. Sogar leuchtende Augen hatten die Grende der Familie Bienz schon. Ein gewisser Hang zum Perfektionismus ist nicht wegzudiskutieren, wenn Jeannine Bienz beispielsweise davon erzählt, wie die Familie bei ihrem Motto «EisArtig» 2019, als sie als fischende Eskimos umherzogen, sogar die Konfetti in den passenden Farben türkis und weiss flattern liess.
Viel Unterstützung in Sachen Wagenbau bietet auch der Vater von Jeannine Bienz, Hans Albisser, der lange Jahre eine Holzbaufirma und Schreinerei geführt hatte. 2,5 Meter lang, 1,5 Meter breit und bis drei Meter hoch ist das Gefährt. Das Auto, das beim Transport wichtige Dienste leistet, muss dann im Dezember und Januar jeweils vor dem Tor sein Dasein fristen.
Die fasnächtliche Leidenschaft, die Jeannine und Markus Bienz antreiben, sind das Eine. Die Kosten für ihre Auftritte das Andere. «Wir sagen immer, wir verzichten dafür auf eine Woche Skiferien mit der ganzen Familie», antwortet Markus Bienz auf die Frage, wie viel Geld die beiden jährlich etwa in die Hand nehmen. Um die Ausgaben zu mildern, verkaufen sie seit einigen Jahren Plaketten, passend zu ihrem Motto. Und der Ausschank von Getränken gehört ebenso dazu, für welche die Fasnächtler freiwillig etwas bezahlen können. Beim Motto «EisArtig» verkauften die beiden einen kleinen Wecker, «weil uns ja wegen der Klimaerwärmung die Zeit davonläuft», erzählt Jeannine Bienz. Und ihr Mann hakt mit einem Lachen ein, dass dies ein richtiger Renner gewesen sei. Sie hätten die jeweilige Auftrittszeit für die Guuggenmusiken eingestellt, sodass alle gewusst hätten, wann sie zu den Instrumenten greifen müssten.
Als «Wilde» könne man immer selber bestimmen, wie man die Fasnacht verbringen wolle, nennen beide den besonderen Reiz, so zur Fasnacht zu gehen. «Du hast Freiheiten, die du weder in einer Kulturfasnachtsgruppe noch in einer Guuggenmusik bekommen kannst», sagt Markus Bienz. Die wilden Gruppen böten zudem das gewisse Extra an Kreativität und Vielfalt an einem Umzug. «Es gibt wohl ein Programm mit den jeweiligen Nummern, doch was sonst noch dazwischen geboten wird, ist eine Überraschung, weil die Zuschauenden nichts davon wissen», ergänzt Jeannine Bienz. Klar sei für sie aber, dass sie sich jederzeit den geltenden Regeln an den Umzügen unterordneten. «Alle versammeln sich rechtzeitig und warten dann, bis es losgeht», sagt sie weiter. Und es sei Ehrensache, dass man nicht plötzlich ausschere oder erst später zu einem Umzug dazustosse.
Für Jeannine und Markus Bienz ist die Fasnacht selber auch deswegen eine strenge Zeit, weil sie sie voll auskosten wollen. «Wenn man schon einen solchen Aufwand betreibt, will man auch möglichst überall mitmachen und das Geschaffene zeigen», hält Markus Bienz fest. Dieses Jahr fehle ihnen halt die Städtlifasnacht, darum sei es umso wichtiger, dass es an diesem Abend diese spontane Möglichkeit im Freien gebe. Es ist auch als eine kleine Entschädigung für das letzte Jahr zu verstehen, an dem man ganz ohne Fasnacht auskommen musste. «Das war schon sehr hart», gesteht Jeannine Bienz ein, «ich habe richtig gelitten.»
Auch heuer hätten sie nicht mehr an die Fasnacht geglaubt und dann umso mehr gestaunt, als es quasi in letzter Sekunde doch noch geklappt habe. Doch ein aktuelles Motto, geschweige denn einen passenden Wagen dazu, haben die beiden natürlich nicht. So haben sie gezwungenermassen auf die Indianer zurückgegriffen, die sie vor ein paar Jahren schon einmal verwendet hatten. «Aber es stimmt jetzt so für uns. Hauptsache, wir können hier in Sursee auch draussen Fasnacht feiern.»
Drei Wochen vor der offiziellen Fasnachtswoche hatten fünf Personen, allesamt begeisterte Fasnächtler und ehemalige Guuggenmusikanten, bei einem gemeinsamen Feierabendbier die Idee, einen Outdoor-Anlass im Städtli Sursee zu organisieren - die Gruppe «Fasnachtsfrönde Sorsi ond Omgäbig» ist entstanden. «Innert Wochenfrist organisierte man einen gemütlichen Anlass, der, bei schönstem Wetter, die Freude des fasnächtlichen Treibens im Freien für alle ermöglichte», schreibt die Gruppe, die ihren Anlasse «Rüüdig Fritig Sorsi» nennt. Die Fasnachtsfrönde Sorsi ond Omgäbig ziehen durchwegs ein positives Resümee. Die tollen Rückmeldungen von Teilnehmenden und Besuchenden hätten aufgezeigt, dass das Bedürfnis der Fasnächtler nach einem solchen Anlass riesig gewesen sei. Ob, wo und wann es eine eventuelle Fortsetzung dieses Anlasses gebe, sei zum heutigen Zeitpunkt noch unbekannt.
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