Die proppenvolle Festhalle in Sempach liess Bundesrat Alain Berset staunen. Es sei schon mutig von den Anwesenden, hier im Seepark zu sitzen anstatt am Seeufer die letzten Sonnenstrahlen zu geniessen. Zur Veranstaltung «Reform AHV21: Retten oder an die Wand fahren?» eingeladen hatte die Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Gesellschaft (AWG) des Kantons Luzern.
In einem kurzen Referat fasste Bundesrat Alain Berset zusammen, worum es bei der AHV-Reform geht. «Die AHV ist nicht irgendeine Versicherung. Sie ist der zentrale Pfeiler unseres Versorgungssystems», meinte er. Sie sei zwar stabil, aber es gebe immer wieder Anpassungsbedarf. Kurz zusammengefasst: Der Finanzierungsbedarf der AHV soll zu 2/3 durch Mehreinnahmen bei der Mehrwertsteuer und zu 1/3 mit der Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre gedeckt werden.
Gegnerinnen und Gegner der Reform argumentieren, dass die AHV auf dem Buckel der Frau saniert werde. Alain Berset hielt fest, dass das System der AHV nicht gemacht wurde für Personen, die Teilzeit oder gar nicht arbeiten, und dass sich das dringend verbessern müsste. Aber auch, dass das eigentliche Problem der Frauen in der 2. Säule, der Beruflichen Vorsorge (BVG), liege. Dort sei es möglich, die Situation der Frau zu verbessern.
«Warum sollten die Frauen Ja zur Reform sagen und damit die Katze im Sack kaufen», wollte Kaspar Käslin, Gemeinderat von Nottwil, von Alain Berset wissen. Wäre es nicht besser gewesen, die BVG-Reform vor der AHV-Reform anzugehen? Die Bevölkerung habe gewollt, dass man die AHV von der BVG trennt, antwortete der Bundesrat. Das habe man auch so gemacht. Aber in welcher Reihenfolge die beiden behandelt würden, darüber habe es Diskussionen gegeben.
Jemand anderes wollte vom Bundesrat wissen, ob es legal sei, auf Abstimmungsplakate zu schreiben, dass mit einem «Ja» bald eine Rentenaltererhöhung auf 67 Jahre folge. Für einen Bundesrat sei dies schwierig zu kommentieren, meinte Alain Berset. Er habe ungefähr 25 Abstimmungen mitgemacht, darunter auch zwei Abstimmungen zum Covid-Gesetz, wo er als Gesundheitsminister vieles habe «ertragen» müssen. Ob man das so machen dürfe oder nicht, könne er nicht beantworten.
Dieselbe Frage – ob bald Rentenalter 67 folge – wurde in der anschliessenden Debatte erneut aufgegriffen. Nationalrat Pierre-Yves Maillard (SP) sagte: «Natürlich darf man diese Frage stellen. Man muss diese Frage stellen.» Mit den Plakaten eine öffentliche Debatte anzuregen, sei legitim. Denn wenn die Bevölkerung der Reform zustimme, öffne man das Feld auch für andere Vorschläge.
Nationalrätin Nathalie Imboden (Grüne), die mit Maillard für die Contra-Seite argumentierte, meinte: «Wir haben ein Problem in diesem Land. Und zwar das Problem, dass die Renten vor allem für Frauen nicht genügend sind.» Frauen, die ein Leben lang gearbeitet hätten – das oftmals unbezahlt, weil sie Kinder oder Elternteile betreut hätten – sollten nun auf ein Jahr Rente verzichten. Und dies noch vor dem Hintergrund, dass viele Menschen, beispielsweise in Pflege oder Verkauf, nicht bis 65 geschweige denn 67 Jahre arbeiten könnten. Und wer seine Stelle verliere, finde oft keine mehr, wodurch wieder Sozialleistungen fällig würden. «Wir müssen die Probleme bei der Wurzel packen und zuerst schauen, wie wir die Alterssicherung stabil machen können», so Imboden. Denn: «Altersarmut ist nicht schweizerisch.»
Die Pro-Argumentation lieferten Nationalrätin Melanie Mettler (GLP) und Ständerat Erich Ettlin (die Mitte). Von ihnen wollte Jérôme Martinu, Moderator und Chefredaktor der «Luzerner Zeitung» wissen, warum die Frauen dieser Reform zustimmen sollten. Das Problem mit der 2. Säule, der BVG, werde man bald angehen, davon sei er fest überzeugt, meinte Erich Ettlin. Doch bei dieser Abstimmung gehe es um die AHV, und in der AHV seien die Frauen nicht im Nachteil. Vielmehr sei er besorgt um die jüngeren Generationen, wenn nun diese Reform nicht passiere. Denn eine andere Methode sei, die AHV mittels Lohnbeiträgen zu sanieren. Bereits mit der Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) habe man die Lohnbeiträge erhöht. Daraus resultierten 2 Milliarden Franken für die AHV. «Für die Generationengerechtigkeit müssen wir jetzt reformieren. Reformieren bedeutet halt manchmal, dass es weh tut.»
Dass man mit der BVG-Reform vorwärts machen wolle, höre sie gerne, konterte Nathalie Imboden (Grüne). Doch selbst wenn die Lösung bereits in der nächsten Woche auf dem Tisch liege, müsse sie zuerst noch die Parlamentsmühlen überstehen.
«Wir reden hier nicht von Rentenkürzungen für die Frauen», hielt Melanie Mettler in der Pro-Argumentation fest. Es stimme, dass Frauen bis zu 40 Prozent weniger Rente als Männer erhielten, jedoch habe das einen Grund. «Alle Systeme in der Schweiz sind so gebaut, dass sie zu dieser Unterversicherung führen. Es ist aber nicht ein Problem der Frau, sondern der Elternschaft», so Mettler. Und das berufliche Risiko der Elternschaft werde fast ausschliesslich von den Frauen getragen. Dies habe Auswirkungen auf die berufliche Entwicklung, den Lohn und die Rentensituation. «Und dort müssen wir ansetzen.» Dies unter anderem mit Blockzeiten an Schulen, Elternzeit, Betreuungsgutscheinen und Individualbesteuerung. Das «Risiko der Elternschaft» müsse ausgeglichener getragen werden, womit die Altersvorsorge ebenfalls breiter getragen würde. Doch nun von dieser Vorlage zu behaupten, dass die Frauen die Vorsorge sanieren müssten, das stimme so einfach nicht, so Mettler.
Zuletzt wollte Jérôme Martinu einen Blick in die Zukunft werfen. «Wir reden hier von einer Umverteilung zu den Jungen. Sie müssen künftig immer mehr in die Sozialwerke einzahlen, erhalten aber immer weniger. Die Generationensolidarität in diesem 3.-Säulen-Prinzip, wo ist diese am ehesten in Gefahr?», wollte er von den Debattie-renden wissen.
«Es ist nicht eine Frage zwischen alt und jung», so Pierre-Yves Maillard (SP). Die AHV sei solidarisch. 92 Prozent der Menschen erhielten mehr als sie bezahlten. Die restlichen 8 Prozent bezahlten mehr als sie erhielten. Es ginge also mehr um die Solidarität zwischen den Reichen und dem anderen Teil der Bevölkerung. «Und man will diese Solidarität nicht mehr. Das ist die Hauptfrage, die wir hier besprechen müssen. Wollen wir uns weiter solidarisch zeigen mit dem Teil der Bevölkerung, der hart arbeitet, um zu leben?».
Melanie Mettler (GLP) verglich die demografische Situation der Schweiz mit einer Sanduhr: Ganz oben befinde sich die Babyboomer-Generation, in der Mitte, dem schmäleren Teil der Sanduhr, ihre eigene Generation und schliesslich ganz unten die nächsten Generationen, die bereits wieder geburtenstärkere Jahrgänge hervorgebracht hätten. Das Problem werde sich also zu einem Teil wieder auflösen. Stattdessen sieht sie in der Reform eine Chance zur Flexibilisierung. «Es stimmt, das gewisse Menschen mit 60 Jahren bereits sehr müde sind und den Ruhestand brauchen. Aber wir sprechen nie darüber, dass sehr viele Menschen auch nicht in den Ruhestand gestellt werden möchten.»
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